Momo hat geschrieben:
Das ist wahrscheinlich so, doch wir Erwachsenen haben die Möglichkeit und sollten diese nutzen (!), Dinge zu hinterfragen und weiterzudenken, uns weiterzuentwickeln. Ich bin immer wieder fassungslos, wenn ich Eltern beobachte, die nach bestem Gewissen in längt "überholten" Verhaltensmustern agieren (z.B. Schlaftraining, Schreien lassen, Bestrafung der Kinder, Drill, Leistungsdruck etc.).
Wenn sich die Erwachsenen ein wenig mit der Psyche und dem Wesen eines Kindes beschäftigen würden, kämen sie dahinter, wie fragwürdig ihr eigenes Verhalten ist. Auch Erwachsene sind lernfähig, sie ruhen sich jedoch oft auf alten Verhaltensmustern aus und wundern sich dann, warum sie ihre Beziehung zu den Kindern verlieren. Oder warum ihre Kinder problematische Verhaltensweisen entwickeln.
Meiner Beobachtung nach ist das Bedürfnis nach eigener Weiterentwicklung bei denjenigen Menschen (auch Eltern) deutlich größer, die SICH SELBST großteils frei entwickeln DURFTEN. Die sind es, die ihre eigenen Verhaltensmuster hinterfragen und offen für andere Ansichten sind.
Menschen, die selbst stur nach "Schema F" erzogen wurden, wo es nur "richtig" und "falsch" gab, kommen ohne einen gewissen Anstoß (z.B. Leidensdruck) gar nicht auf die Idee, das eigene Verhalten zu hinterfragen, weil sie das kritische Beobachten und Verhaltensregeln-mit-der-Realität-vergleichen nie gelernt haben. War ja nie erwünscht und von den in der Kindheit verankerten Mustern sind die angstbesetzten jene, die sich am schwersten ablegen lassen.
In jedem Vater oder jeder Mutter, welche solche Verhaltensmuster bei den eigenen Kindern scheinbar stur und uneinsichtig abspult steckt ein einstmals kreatives Kind, das seine eigenen Wege nie verwirklichen durfte weil es dann die Gunst der wichtigsten Menschen im Leben eines Kindes - den Eltern - verloren hätte.
Jetzt, im Erwachsenenleben, haben diese Menschen gelernt nach außen hin gut zu "funktionieren" , sind aber im schwarz-weiß-Denken von richtig oder falsch nach wie vor gefangen. Natürlich "könnten" sich auch diese Eltern mit der Psyche und dem Wesen eines Kindes beschäftigen, aber ein Außenstehender kann sich vermutlich gar nicht vorstellen, wie tief die Gräben sind, die das verhindern. Selbst hatten diese Menschen ja "allwissende" Eltern und viele davon trauen sich nicht einmal als Erwachsene ein kritisches Wort über ihre Eltern zu sagen, so tief ist das ganze "es ist ja nur zu Deinem Besten..." im Bewußtsein eingegraben. Der Anspruch, selbst ebenfalls alles zu wissen (möglichst ohne mit anderen darüber zu sprechen, dann würde man ja Schwäche eingestehen) und perfekte, allwissende Eltern zu sein, ist bei diesen Menschen enorm groß.
Ich selbst bin in einem Elternhaus aufgewachsen wo ich mir der Liebe meiner Mutter immer sicher sein konnte und es hat zwar längst nicht immer alles "gepasst", aber ich durfte immer sagen was ich denke und sein, wie ich bin. Im Rückblick auf meine Kindheit sehe ich etliche Defizite beider Elternteile und ich kann heute ohne Anklage darüber sprechen - auch mit meiner Mutter.
Daher fällt es mir schwer, den Stab über Menschen zu brechen, die nicht das Glück hatten, so aufzuwachsen. Ich sehe das täglich bei meinem Mann, der ein treuer, verlässlicher Familienmensch und ein sehr liebevoller Vater ist. Seine alleinerziehende Mutter war und ist selbstgefällig und autoritär. Mein Mann arbeitet seit Jahren an seinen daraus resultierenden emotionalen Defiziten, aber es gibt Situationen wo er einfach damit überfordert ist, unseren Buben (dann, wenn sie sich aufführen wie die Wilden) sowohl die klaren Grenzen als auch die trotzdem liebevolle Annahme zu geben, die er selbst nie kennengelernt hat. Und das nach Jahren der kritischen Selbstreflexion und trotz Offenheit für die Erkenntnisse der kindlichen Psyche.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)