Winnie hat geschrieben:
"Lena, ich weiß, dass du dazu keine Lust hast, aber Zähne putzen ist wichtig, sonst machen Karius und Baktus deine Zähne kaputt und dann kriegst du Zahnschmerzen.Komm, das geht doch ganz schnell und danach spielen wir sofort weiter, okay?" Und das hatte Wirkung. Danach hat Lena sichtlich genervt das Zähneputzen über sich ergehen lassen und ist danach aber sofort vom Schoß gesprungen und ins Zimmer zurückgeflitzt. Amelie hat mich praktisch imitiert und so ist in etwa auch mein Erziehungsstil. Ich spreche, soweit es die Zeit zulässt, immer mit den Kindern über ihr Befinden und nehme sie ernst. Ich halte nicht von solchen Sprüchen wie "Stell dich nicht so an, mach nicht so ein Theater,..." Ich denke, wir haben alle als Kinder das Zähneputzen gehasst. Meistens liefere ich auch noch eine Erklärung mit, wenn ich unkreativ bin, klaue ich mir eine aus einem Kinderbuch. Und dann arbeite ich natürlich auch mit Belohnungen, wobei ich eigentlich auf Süßígkeiten, Fernsehen oder Geschenke verzichte. Die Belohnung ist meistens situationsabhängig. Hauptsächlich machen wir irgendwas zusammen, was Amelie gerne macht.
Manchmal treffen wir auch Abmachungen und dann handeln wir mit ihr Sachen aus. Das klappt ganz gut, weil sie sich an ihre eigenen Regeln natürlich lieber hält.
Winnie hat geschrieben:
Aber es ist eben auch ein Vorurteil. Das sind diese Art von Kommentaren, bei denen ich manchmal denke, dass ich im falschen Film bin. Was glaubst du denn? Dass ich jetzt sage:"Ach Mensch, liebevolle Autorität, dass habe ich ja noch nie gehört! Das muss ich unbedingt mal ausprobieren...!" Ich rede seit einem Dreivierteljahr mit diversen psychologisch geschulten Menschen und ich kann es dir gerne nochmal einzeln buchstabieren: Es hat überhaupt nichts mit der Erziehung der Eltern zu tun.
Winnie hat geschrieben:
Also, ich komme ja sozusagen aus der Juristerei und insofern habe ich eigentlich schon recht früh mit Amelie über den Sinn und Unsinn von Regeln gesprochen. Es war ja z. B. auch ein Thema, als sie bei ihrer Oma war oder später, als sie dann zur Krippe ging. Oder manchmal ging es auch darum, dass der Vater andere Regeln hatte als ich. Insofern habe ich ihr beigebracht, dass es sowas wie ein Hausrecht gibt und dass derjenige, dem das Haus gehört, auch der Bestimmer ist. Es gibt nur ganz wenige Regeln, die immer und überall gelten, sozusagen das Grundgesetz. Und dazu gehöre eben diese Dinge, die sich im Wesentlichen an den 10 Geboten orientieren.
Andere Kinder haben Hobbys, Amelie hat Maßnahmen, die vom Kinderarzt verschrieben wurden.
Das Problem ist hier vor allem, dass Kindergarten und Ergotherapeutin völlig unterschiedliche Urteile über mein Kind gefällt haben, die sich eigentlich total widersprechen.
Winnie hat geschrieben: Es wäre vielleicht sinniger, mal langsam in Betracht zu ziehen, dass dies eher eine Art Hilfeschrei ist, weil sie sich nicht anders zu helfen weiß. Im Übrigen, um Missverstände noch zu vermeiden: Sie weiß, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung ist und dass sie damit die Regeln bricht.
Hallo Winnie,
ich denke mit Letzterem hast Du Recht. Ich habe das was Du geschrieben hast dort oben einmal in eine andere Reihenfolge gebracht, damit ich Dir an Hand Deiner Äußerungen meine 'Sicht der Dinge' (und verstehe dies bitte nur als eine Meinung unter vielen) aufzeigen kann. Ich arbeite mich mal von oben nach unten durch.
Dein Beispiel mit dem Zähneputzen zeigt für mich, das Deine Tochter bereits sehr früh Regeln über das vermitteln irrationaler Ängste erlernt hat. Dieses hat sie sogar schon so verinnerlicht, dass sie dieses bereits weitergeben kann. "Die bösen Karius und Baktus machen Dir die Zähne kaputt und bereiten Dir Schmerzen", ok … wir haben als Kinder alle diesen Unsinn vermittelt bekommen, aber denkst Du tatsächlich, das ist der richtige Weg, Kindern von schlichten Notwendigkeiten (denn das sind keine Regeln) zu "überzeugen"?
Ich schreibe einfach mal wie wir das zum z.B. beim Thema Zähneputzen mit unserer Tochter, sie ist jetzt 20 Monate, gemacht haben, denn die ist eine begeisterte Zähneputzerin und schleppt ihre und unsere Zahnbürsten sogar morgens ans Bett. Als sie ihren ersten Zahn bekommen hat, bekam sie ihre eigene Zahnbürste und war dann immer dabei und saß entweder bei mir oder meiner Frau auf dem Schoss, wenn wir unsere Zähne geputzt haben. Wir haben einfach kommentarlos unsere Zähne geputzt, den Mund ausgespült, den Mund und die Hände gewaschen, die Hände abgetrocknet, fertig. Kein Karius kein Baktus, kein Getue, sie hat einfach interessiert zugeschaut und mit 10 Monaten hat sie dann selbst die Zahnbürste in den Mund gesteckt und angefangen "rumzurühren", das war da natürlich noch kein echtes Zähneputzen, aber in den nächsten Monaten hat sie dann alle notwendigen Schritte durch Abschauen und (nur wenn nötig und von ihr gewollt) durch ein bisschen Unterstützung, (z.B. beim Öffnen der Zahnpastatube) alle Fertigkeiten soweit erlernt, das sie heute mit 20 Monaten alleine ihre Tube öffnet, Zahnpasta auf die Zahnbürste gibt, den Wasserhahn aufdreht, die Bürste darunter hält und diesen in den Mund steckt, den Wasserhahn schließt, oben, unten, rechts und links die Zähne putzt, die Zunge bürstet, den Hahn öffnet, die Bürste abspült, mit der hohlen Hand Wasser aufnimmt, damit den Mund ausspült und sich das Gesicht wäscht, ausspuckt, den Hahn schließt und danach die Hände und das Gesicht abtrocknet. Alles ohne Getue, keine Erklärungen, keine Belohungen, keine Extrawurst und vor allem keine Extrazeit in der sie alleine Zähneputzen muss, das einzige was dieses von einem völlig selbstständigen Zähneputzen unterscheidet, ist das wir das, solange sie das wünscht, gemeinsam, aber jeder für sich, machen.
Warum schreibe ich über Zähneputzen so ausführlich? Es steht exemplarisch für alles andere! Geistig "gesunde" Kinder, so 'die Forschung', sind von Geburt an hochsoziale Wesen und brauchen keine extra für sie aufgestellten Regeln oder so etwas wie Belohnungen, dazu ein Zitat:
Soziale Kompetenz von Geburt an
Juul geht davon aus, dass das Kind von Geburt an sozial und emotional ebenso kompetent ist, wie ein Erwachsener. Diese Kompetenz, die sich entsprechend der kindlichen Reife äußert, muß ihm nicht erst durch Erziehung, d.h. durch die Eltern oder durch Institutionen, beigebracht werden. Traditionelle Erziehung, so Juul, benutzt überwiegend verbale Strategien. Damit wird ignoriert, dass Kinder Verhalten durch Imitation lernen. Kinder müssen beobachten und experimentieren dürfen, dann fügen sie sich durch Nachahmung in die Kultur ein. So kooperieren Kinder. Ein ständiger Strom von Ermahnungen und Erklärungen bewirkt, dass das Kind sich dumm fühlt oder falsch. Auch wenn der Umgangston eher freundlich und verständnisvoll ist, wird dennoch die Botschaft gesendet: "Du bist nicht gut genug". Damit wird dem Selbstbild und der Selbstachtung des Kindes großer Schaden zugefügt. Ein Kind kann sich dagegen nicht wehren.
Kinder sehen sich "in Beziehung" zu anderen. Sie sind ursprünglich sozial. Von dieser Grundlage geht Juul bei seiner Arbeit aus. Berater, Lehrer und Erzieherinnen und viele Eltern gehen von der Annahme aus, dass Kinder noch keine vollständigen sozialen Wesen sind, und dass die Erwachsenen, die sozialen Kompetenzen ihnen erst beibringen müssen. Lehrplänen von Schulen und Erziehungskonzepte von Kindergärten dokumentieren diese Haltung.
Jedes auffällige Verhalten von Kindern und Jugendlichen, so Juul, kann man auf zwei Ursachen zurückführen: Entweder haben Erwachsene die kindliche Integrität verletzt oder die Kinder haben überkooperiert. Eltern und Experten konzentrieren sich regelmäßig auf das unangepasstes Verhalten. Juul plädiert dafür, Kindern auf eine andere Art und Weise zu begegnen. Sein Konzept ist, herauszufinden, 'wer das Kind ist' und nicht zu erklären, 'warum es sich so verhält'. Dieses Vorgehen hält Juul für den einzigen Weg, eine tragfähige Beziehung zum Kind herzustellen. Juul hält es für unproduktiv und unethisch Verhalten zu klassifizieren, nach Symptomen zu ordnen und Syndrome und Störungen zu diagnostizieren, in der Annahme, dass bei exakter Diagnose eine Methode zur Behandlung abweichenden Verhaltens entwickelt werden kann. Auf diese Art und Weise würden nicht Menschen, sondern Symptome behandelt. Juul stellt nicht in Abrede, dass Kinder Symptome oder symptomatisches Verhalten zeigen. Er bestreitet auch nicht das Recht der Erwachsenen, Kinder an unsozialem Verhalten zu hindern! Doch er hält die Konzentration auf kindliche Defizite und Störungen für langfristig destruktiv.
http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_ ... s_413.html
Das als einer der Aspekte hier grundsätzlich zum Thema Erziehung, Kinder lernen also (knapp gesagt und im Großen und Ganzen) durch Imitation, Du kannst das an Deiner Tochter beobachten, sie imitiert Dich nicht nur, sondern sie spielt auch noch den Hilfssheriff, sie überkooperiert. Sie wird sicherlich auch am Anfang im Kindergarten eher die Nähe zu den Erzieherinnen gesucht haben und nicht die Nähe der Kinder und sie wird dabei mit ziemlicher Sicherheit auf Ablehnung gestoßen sein, weil die Erzieherinnen dort (anderes als vorher in der Krippe) ihr die Rolle des Hilfssheriffs nicht zugestehen wollten und auch ihre Suche nach der Nähe der Erwachsenen (die für Hochbegabte Kinder typisch ist) abgelehnt haben. Dadurch entstehen natürlich erhebliche Spannungen, von denen Eltern hochbegabter Kinder sehr oft berichten und je intelligenter das Kind ist, desto schlimmer werden in der Regel diese Probleme (das gilt für alle westlichen Kulturen und ist z.B. ein Grund warum in den USA sehr viele der höchstbegabten Kinder, da dieses dort möglich ist, zu Hause unterrichtet werden).
Jetzt stehst Du als Mutter und Verantwortliche vor dem Problem, dass Deine Tochter "die Regeln" bricht und das trotz besseren Wissens, auch das ist typisch für viele Hochbegabte Kinder, sie stellen nicht-natürliche Autoritäten in Frage und das auch oft völlig zu Recht, denn sie werden sehr oft in ihrer Integrität verletzt und das einzige Mittel das sie hat, um sich dagegen zu wehren und um die Autoritäten in Frage zu stellen, ist nun einmal bewusst, oder unbewusst gegen Regeln zu verstoßen.
Aber Du steckst jetzt in einem besonderen Dilemma (das andere Eltern normalbegabter Kinder so nicht haben), denn ich gehe jetzt einfach mal davon aus, das sich bei einer späteren Diagnostik herausstellt, dass Deine Tochter hochbegabt ist. Das bedeutet sie ist von Geburt an hochbegabt und auch wenn ich z.B. Deinen Erziehungsstil grundsätzlich nicht gut heiße, so ist dieser jedoch als völlig normal zu bezeichnen, wie aus einem Lehrbuch, da kann man kritisieren, aber die meisten Kinder, auf die Deine Tochter trifft, werden nach ähnlichen Prinzipien erzogen, aber bei Dir kommt noch eine wichtige und entscheidende Komponente (die andere Eltern so nicht haben) hinzu, Dein Kind ist hochbegabt und das hat erhebliche Auswirkungen auf ihr ganzes Wesen, ihr Denken, ihr Handeln und Sozialverhalten und die Art wie sie auf "normale Erziehung" (wie Du sie betreibst und wie diese Dir hier auch aufgedrängt wird) reagiert, dieser Aspekt wird von Dir nicht genügend berücksichtigt, weil Du einfach nicht weißt, welche speziellen Bedürfnisse und Denkweisen hochbegabte Kinder haben (und dabei geht es nicht um "Förderung durch Programme") sondern es geht um das oft sehr besondere und von anderen völlig unterschiedliche Wesen hochbegabter Kinder.
Zum einen bist Du Dir dieser Bedürfnisse nicht bewusst, aber verschärfend hinzukommt, das auch das professionelle Umfeld in das Du Dein Kind entlässt (Kindergarten, Schule, Ärzte, Therapeuten …etc, dem Du ja irgendwie fälschlicher Weise vertraust, sonst würdest Du das ja nicht machen) ebenfalls Null Ahnung haben, welche Bedürfnisse so ein Kind hat und vor allem welche Anforderungen so ein Kind an einen Verantwortlichen stellen kann.
Deine Tochter steckt also in einer im Grunde von euch als Eltern zu verantwortenden Zwickmühle, die sie nicht verstehen kann und aus dem sie sich auch nicht selbst befreien kann. Sie hat es im Grunde rund um sich herum (dich eingeschlossen) mit völliger Inkompetenz zutun und auch wenn sie das mit Sicherheit nicht analysieren kann, so spürt sie dieses sehr deutlich und reagiert entsprechend. Und die Zwickmühle ist deshalb von euch zu verantworten (auch wenn ihr das nicht mit Absicht macht), weil ihr euer Kind "blauäugig" in die Welt entlassen habt, ohne euch vorher über das was passieren kann, Gedanken zu machen und sie jetzt auch weiterhin von einer Zwickmühle in die nächste schiebt und die obendrauf die Verantwortung für das Alles auch noch auf andere abwälzt.
Was kannst Du also jetzt tun?
Erstens Dich informieren, lese soviel wie möglich über die Bedürfnisse hochbegabter Kinder, lese am Besten alles zu dem Thema, lese jeden Mist, vertraue dabei keiner Theorie, sondern erlerne alle Theorien und dann mache Dir eine eigene, verschaffe Dir maximale Handlungskompetenz, misstraue Experten, lass Dein Leben und das Leben Deiner Tochter nicht fremdbestimmen (wie Du es jetzt machst siehe oben Thema Hobbys, Diagnosen, Therapien) und die 10 Gebote oder irgendwelche Regeln helfen euch ganz sicher auch nicht weiter.
Deine Kind schreit nach Hilfe, das ist richtig, aber Du und Dein Mann, ihr seit die einzigen Die eurer Tochter helfen können, sie schreit also nach eurer Hilfe und ihr, bzw. Du bist es die Deiner Tochter Wege eröffnen muss, Du musst (du schreibst Du kommst aus dem juristischen Bereich) ihre Anwältin und Lehrerin sein und ihr Zeigen wie sie mit ihrem besonderen Wesen glücklich werden kann.
Ich könnte jetzt noch Stunden weiter schreiben, aber ich hoffe Du kannst mit dem da oben ein bisschen was anfangen.
Liebe Grüße
Heiner