Lorenz Wagner "Der Junge, der zu viel fühlte".
Ich hab es eben ausgelesen und fand es in vielerlei Hinsicht sehr interessant.
Ich habe viele Eigenschaften/Verhaltensweisen meiner Tochter gefunden, die bei ihr, ohne dass sie eine "Störung" hat, durchaus vorkommen und wo ich auch Ansätze mitnehmen konnte, wie man ggf. besser damit umgehen könnte.
Bei ihr nennt sich das wohl noch "Hochsensibilität". Früher hab ich aber tatsächlich immermal wieder gedacht, dass sie evtl ein Aspergerkind ist... Zum Glück hat sich inzwischen einiges davon schon "verwachsen".
Ich fand die These spannend, dass die rasante Zunahme von Diagnosen wie ADHS und Autismus nicht nur mit aufmerksamere Beobachtung, Giften u.ä. zu tun haben könnte, sondern womöglich mit der heutigen Welt zu tun hat, die schlechter zu Menschen mit diesen Anlagen passt. Bei ADHS ist diese These nicht so neu, aber bei Asperger hatte ich das noch nicht gehört/gelesen/erwogen.
Der Forscher Markram meint, dass man den Ausbruch von Autismus ggf verhindern oder mildern könnte, wenn man in den ersten Lebensjahre bestimmte Bedingungen schafft. (-> wenig Reize, damit Ängste und letztlich Rückzug oder Anfälle aus Überforderung der hypersensiblen Sinne gar nicht erst entstehen.)
Laut ihm stehen in den ersten Lebensjahren bei den Betroffenen zwei Antriebe im Widerstreit: einerseits der Forscherdrang, die Neugier auf Neues und Erfahrungen, was eine Anlage in uns allen ist, um das Lernen und sich Entwickeln zu ermöglichen.
Und bei den hypersensiblen Autisten die Schutzmechanismen, um mit der zu lauten, zu bunten Welt umzugehen.
(krampfhaftes Festhalten an Ritualen, Rückzug)
Seiner Meinung nach könnte man bei dem Schaffen optimaler Bedingungen in der sensiblen Phase zwischen 0 und 6 Jahren und mit richtig dosierten Erfahrungen womöglich den Autismus positiv beeinflussen...
Vielleicht wurden/werden potentielle Autisten keine Autisten, wenn sie in einer ruhigen, reizarmen, naturnahen und nicht überbevölkerten, technisierten Welt ihre ersten Lebensjahre verbringen. (Wie Markram selbst, der in der Kalahari aufwuchs und als Erwachsener zwar autistische Tendenzen zeigt, aber ein normales Leben führt)
Bei Ratten weisen Versuche jedenfalls darauf hin, dass das autistische Verhalten autistisch geborener Ratten mit reizarmer, vorhersehbarer Umwelt verschwinden kann.
Einen interessanten Absatz aus dem Buch möchte ich noch zitieren der sehr schön zu den aktuellen Ereignissen passt (-> Greta):
Allein allem war das Buch erstens sehr schön und spannend zu lesen, denn es ist die Lebensgeschichte des Hirnforschers Markrams und seines autistischen (übrigens nicht höher begabten, sondern entwicklunsgverzögerten) Sohnes."Lebendige Gebilde, also auch der Mensch, verändern sich langsam. Sie brauchen dafür interne Veränderter, Späher, die das Gesamte an neue Plätze führen. Es gibt einen wissenschaftlichen Namen für dies Veränderter, einen Namen mit schlechtem Klang: Mutationen.
Sie sind die, die sich verändern, die anders sind als der Rest, nicht normal.
Damit sind sie erst einmal ein Ärgernis für das System: sie fügen sich nicht ein. Aber auf lange Sicht sichern sie das Überleben. Sie sind die Alternative, sind die Späher, die sich ins Unbekannte hineinwagen. (...) Autisten sind anders, Sie sind eine Chance für das System, die Gesellschaft."
Zweitens hab ich ab und an ein bisschen mein Kind darin gefunden.
Und drittens waren für mich wirklich viele interessante Denkanstöße drin.