Diese offenkundige Begeisterung für Zahlen kenne ich so von Amelie nicht, aber das mit der Gedächtnisleistung kommt mir vertraut vor. Wir waren auch in einer Ferienwohnung, als Amelie 1 1/2 war, und zwei Jahre später waren wir wieder dort. Sie hatte tatsächlich noch Erinnerungen an verschiedene Dinge und ihr war z. B. auch sofort aufgefallen, dass dort eine neue Küche eingebaut worden war. Wir Erwachsenen haben wirklich versucht, uns zu erinnern, wie die alte Küche aussah, aber es ist uns beim besten Willen nicht eingefallen. Aber es ist oft so, wenn man solche blitzgescheiten Kinder hat, dass man das einfach so hinnimmt und sich nicht im Klaren darüber ist, dass da irgendwan Besonderes dran sein soll. Gerade beim ersten Kind hält man das ja erstmal für normal.
Was mich in dem Zusammenhang auch interessiert: Wie ist denn das mit der Sprachentwicklung? Denn meistens ist das ja so, dass ein Kind schon früh gut sprechen können muss, damit so eine Vorstellung davon bekommt, was das Kind alles erkennen und begreifen kann. Sonst kann es unter Umständen noch länger dauern, bis das Kind seine Erkenntnisse in Worte fassen kann. Und dann ist es vielleicht im Rahmen einer alterstypischen Entwicklung, obwohl es das aber eigentlich schon viel länger beherrscht.
Wir hatten das Problem eher im Zusammenhang mit der Motorik, weil Amelie Probleme mit der Feinmotorik hatte. Sie hat selbst bei der U 9 noch behauptet, sie könnte überhaupt nicht malen. Da kommt man als Elternteil schon in Erklärungsnot.

Letztlich ist es aber psychologisch so zu erklären, dass sie schon ganz lange ein sehr differenziertes Bild der einzelnen Sachen im Kopf hatte, mit vielen Details und Vorstellungen von Farbe. Und sie hat dann früh gemerkt, dass sie mit ihren Fähigkeiten und vor allem mit den Stiften (nur 5 verschiedene Farben) keine Chance hat, das einigermaßen realistisch abzubilden. So erklären sich auch die vielen, vielen Kritzelbilder, die sie mit 3 im Kindergarten gemalt hat: Sie hat begonnen, Dinge zu malen und hat vor lauter Wut das ganze Bild mit schwarz, dunkelblau oder dunkelgrün übermalt. Ich habe nach der ganzen Entwicklungsgeschichte ihre alten Bilder wieder rausgeholt und habe dann auch übermalte Buchstaben und Zahlen entdeckt.
Eine mathematische Begabung äußert sich manchmal auch nicht so offenkundig. ich muss dir dazu mal ein Beispiel geben. Amelie hatte ja große Probleme in dem ersten Kindergarten, in dem wir sie angemeldet haben. Wir haben immer wieder versucht herauszufinden, woran es liegt, aber ja mehr wir gefragt haben, desto eindrücklicher hat sie gesagt:"Ich weiß nicht, wie ich euch das erklären soll." Das heißt, sie hat um Worte gerungen, aber keinen Ausdruck dafür gefunden. Irgendwann hat sie zu unser aller Erstaunen nach dem Kindergarten-Wechsel gesagt:"Ich mag den neuen Kindergarten lieber, weil der der nicht so hohe Eingangstüren hat wie der alte Kindergarten." Wir haben das dem Kinderarzt erzählt, weil wir es nicht verstanden haben. Und der hat gelacht und uns erklärt, dass das eine ganz große mathematische Leistung sei.

Wir haben natürlich wieder nur Bahnhof verstanden. Aber der Zusammenhang ist folgender: Amelie hatte im alten Kindergarten vor allem Probleme mit der Akkustik. Sie hat sich oft darüber beschwert, dass es in diesem Kindergarten so laut ist. Wir hatten schon in Betracht gezogen, dass sie vielleicht eine auditive Wahrnehmungsstörung hat, aber das ist dann beim Test nicht bestätigt worden. In vielen anderen Situationen macht ihr Lärm nämlich überhaupt nichts aus. Anscheinend hat sie sich selber zusammengereimt, dass diese Lautstärke irgendwas mit der Höhe der Räume zu tun haben muss. Und der einzige Maßstab, den sie dafür hatte, war die Höhe der Eingangstüren.
Neulich beim Ballett, wo wir jetzt erst das 3. Mal waren, hat die Lehrerin uns darauf aufmerksam gemacht, dass Amelie sich schon sehr gut im Rhtythmus der Musik bewegen kann. Sie hat uns daher empfohlen, dass sie aus der Startergruppe der 3-5jährigen in die nächsthöhere Gruppe wechselt, für die 5-6jährigen. Natürlich ist Ablauf der Bewegungen noch nicht so elegant, aber sie hat eben gesagt, dass es in der Mini-Gruppe eben darum geht, überhaupt den Takt zu halten. Das ist aber bereits ausgeprägt und das ist aber wohl bei ihr keine Sache der Übung, sondern sie bringt das von Natur aus mit. Und das hat auch was mit Mathematik und Zahlen zu tun. Das heißt, das Talent und die Begabung ist irgendwo vorhanden, obwohl sie immer noch nicht flüssig bis 100 zählen kann.
Ich denke, das wird jetzt irgendwann kommen, denn sie hat jetzt ein Buch bekommen von den 101 Dalmatinern und sie versucht ständig herauszufinden, ob das auf den Bildern tatsächlich 101 Hunde sind. Ich glaube, dass sich beim Lernen vieles besser einprägt, wenn die Aufgaben aus dem Leben heraus gestellt werden und die Erinnerungen daran mit Emotionen verknüpft sind.
Mittlerweile bin ich sowieso eher der Meinung, dass es nicht darum gehen sollte, das Kind an seine Leistungsgrenzen zu bringen, sondern das Ganze eher wie einen Acker zu betrachten. Du schaffst als Eltern die Grundlage und wirfst den Samen. Was davon keimt und anwächst, das muss der Acker (pardon: das Kind) dann allein entscheiden. Wann und wie schnell es wächst, hängt auch von ganz vielen anderen Faktoren ab. Um bei dem Vergleich mit den Pflanzen zu bleiben: Zuviel Dünger macht die Pflanzen anfällig für Krankheiten, unter dem schnellen Wachstum leidet die Widerstandfähigkeit. Wenn sich eine Pflanze bzw. ein Kind im Leben durchsetzen soll, dann braucht es zwar starke Wurzeln, aber vor allem auch Standhaftigkeit. Und die kommt eben nicht nur aus den Wurzeln, auch die Stengel müssen fest genug sein, um nicht beim ersten Gegenwind gleich wieder einzuknicken.
Zurück zur Realität: Das Ziel ist, dass die Kinder selbst der Langeweile etwas entgegenzusetzen haben. Wenn sie immer abhängig davon bleiben, dass sie von den Erwachsenen bespaßt werden, dann sind sie als Teenager anfällig und offen für sämtliche Reize. Wenn sich die Kinder im Kindergarten und der Schule dauerhaft langweilen, dann liegt es auch daran, dass sie nicht gelernt haben, sich selbst zu beschäftigen. Das einzige, was man dann mit den Kindern üben kann, ist die Kommunikation darüber. Die Kinder müssen natürlich lernen, um Hilfe zu bitten, sich entsprechendes Material und Informationen selbst zu besorgen und müssen natürlich auch bestärkt werden, jenseits der üblichen Trampelpfade neue Dinge auszuprobieren. Und das Schlimmste, was wir den Kindern antun können, ist, ihnen nur Aufgaben zu geben, bei denen das Leistungsziel vorgegeben ist. In unseren Kindern schlummern mit Sicherheit Begabungen, die wir als Eltern gar nicht sehen können oder wollen. Und die werden niemals zum Tragen kommen, wenn die Kinder abhängig davon sind, was wir fördern wollen, was wir für richtig und wichtig halten.
Meno, nur mal so: Ist es nicht völlig normal, dass die Kinder nachahmen wollen, was die Eltern tun? Ich meine, dass dein Sohn sich eine Gitarre wünscht? Aber die Idee, ihm dann noch mit 4 Unterricht geben zu lassen, der kommt von dir, nicht von ihm. Meine Tochter möchte auch gerne Auto fahren lernen, aber sie ist 5 Jahre alt. Es ist einfach noch nicht dran!
Ich bin da etwas rigoros, aber ich habe auch einen Fall in meiner HB-Gruppe, da ist das Mädchen 3 Jahre alt, wird bald vier, und die Mutter redet ständig von der Einschulung, spätestens mit 5. Schön und gut, aber wenn ich sehe, dass sich das Kind noch nicht die Schuhe allein anziehen kann, dann denke ich: Es gibt im Hier und Jetzt noch einiges zu tun bis zur Einschulung. Vielleicht ist das Kind auch unterfordert, weil es gar nichts allein tun muss und von seiner Mutter rundum den Hintern gepudert kriegt.

Ich will dir auch nicht unterstellen, dass du genauso denkst. Aber sie wollte eben ihre Tochter auch unbedingt zum Ballett bringen und die Kleine hat sich jetzt dreimal geweigert und nun hat die Mutter endlich mal begriffen, dass es einfach noch zu früh ist. Ich habe das schon beim ersten Mal gesehen, das das nichts wird. Aber sie war der Meinung, das wäre gut und wichtig für ihre Tochter, weil die sich immer so langweilt. Naja...
"Entschuldigung, ich habe nur kurz fantasiert." meine große Tochter, 4 Jahre alt (inzwischen 9 geworden)