Habe neulich etwas genau zu diesem Thema gelesen, weil die Schulpsychologin mich darauf aufmerksam gemacht hat. Es gibt bei größeren Geschwisterkindern manchmal so etwas, wie einen verzögerten Einbruch. Und zwar ist das ungefähr dann, wenn die Babyzeit beim zweiten Kind zuende geht und das zweite Kind sozusagen nochmal anders in Konkurrenz tritt. Die großen Kinder merken, dass das zweite Kind ingesamt irgendwie schneller und besser mit vielen Situationen zurecht kommt und die Eltern zum Teil auch ihre Erleichterung zum Ausdruck bringen. Oft geschieht dies unbewusst, aber die großen Kinder haben da sehr feine Antennen. Zudem wird sich beim zweiten Kind über vieles gefreut, was das große Kind aber auch jeden Tag leisten muss. Aber ihm wird das schon mit einer großen Selbstverständlichkeit abverlangt und man bringt ihm einfach nicht mehr so viel Aufmerksamkeit entgegen. Es wird also weder registriert noch honoriert, wenn das Kind von sich aus in die 2. Reihe tritt, auch mal Rücksicht nimmt und dem Geschwisterkind bestimmte Privilegien abtritt oder sie auf einmal teilen muss.
Für viele Kinder ist das ein schmerzhafter Prozess, gerade wenn es für sie mit großen Schritten in Richtung Schule und Selbstständigkeit geht. Viele Kinder retardieren dann auch nochmal kurzfristig. Die Schulpsychologin hat es auch ausgedrückt: Lange Zeit wurde viel betont, dass die großen Geschwister auch wirklich die Großen sind. Eine zeitlang hat es sie mit Stolz erfüllt und dann kommen sie irgendwann dahinter, dass groß zu sein auch viel mit Verantwortung und Pflichten zu tun hat. Und irgendwann merken sie, sie können nicht wieder in ihre alte Rolle zurück, weil da schon jemand anders den Platz besetzt. Die Kinder trauern dann um den Verlust. Da gibt es ein ganzes Spektrum an Bewältigungsstrategien und psychischen Reaktionen. Vollkommen trockene Kinder nässen plötzlich wieder ein, manche Kinder sprechen plötzlich in Babysprache, manche Kinder wollen auf einmal wieder bei ihren Eltern schlafen oder tagsüber auf dem Arm getragen werden. Bei A. hat es dazu geführt, dass sie sich wohl gedacht hat: Wenn ich schon die Große sein muss, dann möchte ich wenigstens auch mitentscheiden. Sie hat zuhause und im Kindergarten Ansprüche gestellt, wobei sie aber im Kindergarten damals noch zu den Kleinen zählte und gar keine Mitbestimmungsrechte hatte. Sie hat dann auch entschieden, dass sie beim Singkreis nicht mitsingt. Das für uns wirklich Seltsame ist: Sie war vorher in der Krippe und hat den Singkreis mit Begeisterung mitgemacht. Nachdem sie diese Entscheidung gefällt hat, hat sie das bis zum Schluss durchgezogen. Sie war auch durch die Erzieher durch nichts zu bewegen. Und da sie eben sonst so gerne singt, war uns dann allen klar, dass sie uns mit ihren bescheidenen kindlichen Mitteln eine Botschaft senden wollte. Und zwei Jahre sind im Leben eines 5jährigen Kindes ungefähr eine Million Lichtjahre lang. Es muss ihr also sehr, sehr wichtig gewesen sein. Und da sie ja im Kindergarten bis auf ein einziges Mal niemals geweint hat, ist man erstmal nicht drauf gekommen, dass in ihre eine große Traurigkeit vorhanden war.
Mit einem Test wirst du diese Problem nicht lösen können. Ich glaube, was dein Sohn jetzt braucht, ist, dass er so, wie er ist, angenommen wird. Es gibt Kinder, die sich schneller einfügen und welche, die erstmal beobachten. Daran ist nichts Falsches! Jede Medaille hat zwei Seiten. Bei Amelie brauche ich mir wahrscheinlich keine Sorgen machen, dass sie mal von fremden Männern weggelockt wird. Die ist so misstrauisch und so unbarmherzig ehrlich, wenn sie jemand nicht kennt und der labert sie einfach an, guckt sie böse, dreht sich um und lässt denjenigen wortlos stehen. Sie nimmt auch niemals Süßigkeiten von Fremden an, auch nicht wenn ich dabei bin. Bei L. würde ich mir da schon eher Sorgen machen. Sie ist so vertrauensvoll, so offen und sie hat sich auch superschnell im Kindergarten eingewöhnt. Und sie ist erst 2.
Er hat keine "Schwierigkeiten" mit anderen Kindern in Kontakt zu treten, er ist nur sehr wählerisch.

Und mit welchem Anspruch dürfen wir verlangen, dass die Kinder in einer Kindergartengruppe von 25 Kindern den Freund fürs Leben finden müssen? Vielleicht sind die anderen 24 Kinder alle doof. Also, in meiner Krabbelgruppe damals waren auch so an die 20 Mütter und ich fand die auch alle doof. Ich habe da auch keine Freundin gefunden. Es ist ja eine willkürliche Auswahl an Menschen und machmal reicht eine kleine Gemeinsamkeit wie gleiches Alter oder Kinder im gleichen Alter nicht aus, um eine Freundschaft zu begründen.
"Entschuldigung, ich habe nur kurz fantasiert." meine große Tochter, 4 Jahre alt (inzwischen 9 geworden)