ich mach jetzt mal keine großen Schnörkel, sondern komm mal gleich zu der Sache, die mich bedrückt.
Ob meine Tochter nun hochbegabt ist oder nicht, kann ich nicht sagen und es ist mir auch nicht so wichtig - ich möchte, daß sie glücklich ist. Ein kluges Kind ist sie in jedem Fall. Sie ist 5 1/2 Jahre alt. (Sie hat sich schon mit etwa 3 Jahren so sehr für Buchstaben und Zählen und Rechnen interessiert, daß es mir fast ein wenig unheimlich war.) Jetzt war es so, daß wir kurz vor den Sommerferien entdeckt haben, daß sie im Kindergarten als Sündenbock herhalten mußte, ohne, daß irgendwer von Erzieherseite her mit uns gesprochen hätte. Wir mußten den Kindergarten wechseln, um sie aus dieser Situation zu befreien. Jetzt ist sie aber in einem, in dem die Kinder wesentlich weiter zurück sind als sie. Ich berichte mal ausführlicher:
Man muß dazusagen, daß wir seit etwa einem Jahr wirklich eine schwere Zeit hinter uns haben. Sie hat irgendwann angefangen, alles zu verweigern, war sehr angespannt, öfter neben sich als bei sich und oft genug ziemlich aggressiv. Was denkt man natürlich als erstes? Klar, muß an uns liegen. Wir haben also seit einem Jahr verstärkt an unserer Beobachtung, Aufmerksamkeit, Bindung gearbeitet. Einen strukturierten Tag mit viel Geduld, konsequentem Verhalten, Förderung und auch Freiraum geschaffen.
Und immer wieder schien es zu fruchten. Unser Kind kehrte zumindest endlich wieder dorthin zurück, wo sie wieder so aufeschlossen und wissensbegierig und interessiert war wie zuvor. Auch das aggressive Verhalten besserte sich. Es dauerte jedoch nie lange und unsere Tochter kehrte wieder in alte aggressive und/oder verkrampfte Verhaltensweisen zurück. Kurz vor den Sommerferien war es dann so weit: Ich holte sie an einem Tag unerwarteterweise früher vom KiGa ab als ich sonst kommen kann. Schau in die Gruppe - mein Kind ist nicht da. Die erzieherin sagt mir, die ist in ner anderen Gruppe, weil sie ein Kind angespuckt hat. Erstes Stirnrunzeln von mir - weshalb wird mein Kind ausgesondert, statt daß irgend etwas geklärt wird? Ich habe sie aber dann lieber schnell eingesammelt und bin mit ihr gegangen. Im Bus frage ich, ob das öfter vorkommt, daß sie raus muß. Erst will sie nicht so recht raus mit der Sprache - aber dann fängt sie an mit "In der Küche ist es am langweiligsten, da muß ich immer auf so einem Klappstuhl sitzen". Was wir dann nach und nach am Wochenende zu hören bekamen (und mein Kind war so erleichtert, daß es endlich mal auf den Tisch kam), war zusammenfassend folgendes:
- Sie muß jeden Tag raus. Entweder in eine andere Gruppe, in die Küche oder einfach auf den Flur.
- Raus muß man, wenn man "Quatsch" macht. Die Frage, was "Quatsch" denn genau ist, kann sie nicht beantworten.
- "Ich mach alles falsch"
- "Wenn die [Name der Erzieherin] brüllt, haben alle Angst"
- "Die [Name der Erzieherin] hat gesagt: 'Wenn du so klug bist, warum bist du dann nicht in der Schule?!'"
Natürlich waren wir am Montag sofort früher im Kindergarten und reden mit der Erzieherin, noch bevor die Gruppe wieder anfängt. Die sagt, sie wär halt wegen personellen Engpässen oft alleine mit 25 Kindern, muß dann immer bei dem I-Kind sitzen. Es ist ihr alles zuviel. Wer Quatsch macht, kommt halt raus. Wir fragen nach, was "Quatsch" denn genau ist. Und gewinnen die Erkenntnis, daß das alles sein kann, vom Umwerfen einer Flasche über Rumrennen, mit anderen Kindern streiten, spucken - was immer eben gerade nicht paßt. Unsere Tochter sei halt schwierig, sie ist froh, sie jetzt die Schließzeit über nicht sehen zu müssen. Nachmittags hätte sie dann immer vergessen, daß irgendwas war und deswegen nicht mit uns gesprochen. Wir haben klar gemacht, daß unsere Tochter nicht rausgeworfen werden soll.
Nach dem "Gespräch" kommen wir noch zum Verabschieden und unsere Tochter fragt "habt ihr geredet, werd ich jetzt nicht mehr rausgeschmissen?". Natürlich sagen wir ihr "nein, wirst du nicht mehr". Was passiert beim Abholen? unsere Tochter berichtet geknickt, daß sie heute wieder vor die Tür mußte. Diesmal hat sie zweite Erzieherin im Bunde sie vor die Tür gesetzt. Natürlich wegen "Quatsch". Also gleich zu dieser gegangen und gefragt, was das soll, wir hätten ja wohl gerade heute morgen ein Gespräch mit Erzieherin 1 gehabt und gesagt, daß wir nicht wollen, daß unser Kind vor die Tür gesetzt wird. "Ah ja, sie hat mir erzählt, daß sie mit ihr gesprochen haben, wollte mir aber nicht sagen, worum es ging". Aha. Daß wir unser Kind im Übrigen auch schon beim Abholen suchen mußte, weil niemand wußte, wo sie gerade war und wir sie allein im Außengelände (das gerade umgebaut wird, also zur Hälfte eine Baustelle ist) in einem Busch gefunden haben, das ist nur eine Nebengeschichte.
Nun, es endete darin, daß das pädagogische Konzept, schwierige Kinder auszusondern, von Erzieherinnen, Leiung und pädagogischer Leitung verteidigt wurde. In jeder KiGa-Gruppe gäbe es so ein Kind - wenn das mal 15 Minuten vor der Tür gesessen hat, ist es wieder friedlich.
Wenn ich hier nicht ganz falsch gelandet bin, versteht ihr bestimmt, daß wir unser Kind aus dieer Rolle in diesem Kindergarten also schleunigst retten mußten. Leider liegen Kindergartenplätze in Hessen (D) nicht gerade auf der Straße. Wir hatten einige Mühen, überhaupt einen Platz zu finden.
Jetzt ist sie also in einem Kindergarten, in dem viele Kinder nicht so gut deutsch können. Viele Kleine - und die wenigen, die in ihrem Alter sind, sind ihr weit unterlegen. Mein Kind hat aber eine enorm schnelle Auffassungs- und Beobachtungsgabe. Sie möchte so unendlich gerne Freunde finden in ihrem neuen Kindergarten. Dafür fängt sie rasant an, sich entweder an die anderen Kinder oder die Erzieherrolle anzupassen und findet ihre eigene nicht. Einerseits versucht sie verzweifelt, alles, was sie schon kann, zu vergessen, um sich dem Niveau der anderen anzupassen. Wenn das dennoch (oder gerade deswegen) nicht gut geht, switcht sie in die Erzieherrolle und macht jedem Kind klar, was die Regeln sind und wie sie sich zu verhalten haben. Mit beidem ist sie natürlich letztendlich massiv unglücklich.

Wir denken jetzt leider viel zu spät daran, sie lieber vorzeitig einzuschulen. Nur leider ist offenbar jede Schule froh, wenn sie ein Kann-Kind nicht aufnehmen muß. Alle Plätze sind leider voll, Vorschule nur bei ausgewählten Regelschulen, die nicht unsere zugewiesenen sind. Ich glaube durchaus, daß sie schon so weit wäre, sie beginnt bereits damit, überall Wörter zu lesen und kann eigentlich auch schon erstaunlich gut zählen und rechnen. Sie versteht auch sehr viel von dem, was Erwachsene um sie herum reden. Das alles versucht sie nur gerade rasant zu vergessen. Und das wirkt an ihr so, als würde sie sich selbst ein Bein herausschneiden.

Wir versuchen jetzt, nachmittags ein paar Kurse mit ihr zu machen und hoffen, daß wir es wenigstens ein wenig ausgleichen können, weil sie so etwas wiederum unwahrscheinlich gerne tut. Wir fangen halt jetzt erst mit solchen Angeboten an, weil wir unser Kind nicht überfordern wollten. Man hört ja immer überspitzt von den Eltern, die die Kleinen vom Tennis zum Japanisch schicken... Aber es scheint ganz andersherum zu sein. Jetzt können wir nur noch hoffen, daß wir damit der krampfhaften "Selbst-Verdummung" im KiGa ein wenig entgegenwirken können. Die Regelschule beginnt erst in unendlich hin scheinenden 10 Monaten.
Es ist so traurig.
