Waldorfschule

Probleme und Lösungen für den Schulalltag
Momo
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Re: Waldorfschule

Beitrag von Momo »

Ich glaube, Du weißt, was ich meine... hast Du den von mir oben verlinkten Artikel von Gerald Hüther gelesen (ich hoffe, Du kannst ihn öffnen)? Ich finde seine Erkenntnisse so einleuchtend! Es geht nicht darum, auch mal zu einem Fach keine Lust zu haben, das gehört auch dazu. Es geht um die gesamte Einstellung zur Wissensvermittlung.

LG Momo
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Rabaukenmama
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Re: Waldorfschule

Beitrag von Rabaukenmama »

Momo hat geschrieben:Ich glaube, Du weißt, was ich meine... hast Du den von mir oben verlinkten Artikel von Gerald Hüther gelesen (ich hoffe, Du kannst ihn öffnen)? Ich finde seine Erkenntnisse so einleuchtend! Es geht nicht darum, auch mal zu einem Fach keine Lust zu haben, das gehört auch dazu. Es geht um die gesamte Einstellung zur Wissensvermittlung.

LG Momo
Habe den Artikel jetzt gelesen. In manchen Dingen stimme ich mit Hrn. Hüther überein, in andere nicht.

Ich finde z.B. dieses Zitat "Mit umfassend gebildeten Persönlichkeiten, die sich von anderen nichts einreden lassen, die wissen, wo sie hin wollen und sich mit anderen zusammen tun, um ihre Welt zu gestalten, hat man im vorigen Jahrhundert nichts anfangen können." impliziert, dass eine gewaltige gesellschaftliche Wende stattgefunden hat bzw. gerade stattfindet. Wäre zwar durchaus wünschenswert, in der Realität, die ich täglich beobachte, sehe ich aber keine Anzeichen dafür.

Da ich aber kein rabenschwarzer Pessimist bin hoffe ich durchaus noch, die von Hrn. Hüther vorzeitig angekündigte gesellschaftliche Wende findet langsam aber sicher in den Köpfen der Menschen statt.

Bei der Aussage

"Ich bin ein bisschen frech und verkünde hier in Deutschland, dass es in sechs Jahren solche Schulen, wie wir sie heute noch kennen, nicht mehr geben wird. Was jetzt in den Betrieben und in den Universitäten gebraucht wird, sind junge Menschen, die begeisterte Entdecker und Tüftler und Gestalter sind. Und die vor allen Dingen gelernt haben, dass man sich gemeinsam mit anderen auf den Weg machen muss."

frage ich mich dann schon: ist der Typ dumm oder naiv? Hey, ich bin seit fast 30 Jahren im Berufsleben und habe in der Zeit 7 verschiedene Firmen "von innen" kennengelernt! Und ich habe eine Erfahrung gemacht: um sich überhaupt erlauben zu DÜRFEN, MANCHMAL eine kleine, kritische Bemerkung am System an wichtiger Stelle "loszuwerden", muss man sehr, sehr gut in seinem Beruf sein. Es wäre schön, wenn WIRKLICH kritische Menschen gefragt und gesucht würden, an den Stellen, wo ich mich bisher aufgehalten habe, war aber die Nachfrage nach "funktionierern" deutlich größer.

Meine Lehre habe ich im "Konsum" gemacht. Als ich damals im 3. Lehrjahr auf Grund dessen, dass der Konzern seit Jahren nur rote Zahlen schrieb, gefragt habe, ob der Konsum nicht konkursgefährdet sei meinte mein Vorgesetzter mit einem überlegenen lächeln "Den Konsum wird es IMMER geben". Meine Aussage war so was wie eine Majestätsbeleidigung. Später habe ich sogar mal meinen Arbeitsplatz verloren weil ich so "vorlaut" war und gewagt habe VERBESSERUNGSvorschläge zu machen. Meinen jetzigen Dienstgeber habe ich vor einigen Jahren (in Absprache mit dem Betriebsrat) in einem eingeschriebenen Brief über diverse Missstände informiert und gleichzeitig Lösungsvorschläge angeboten. Bitte glaub nicht, er wäre darauf eingegangen oder hätte auch nur das Gespräch mit mir gesucht.

Und ganz ehrlich - ich wäre wohl keine sehr gefestigte Persönlichkeit, würde ich mir von einem Hrn. Hüther einreden lassen, dass die Welt plötzlich ganz anders funktioniert als mir meine jahrzehntelange Erfahrung gezeigt hat.
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Re: Waldorfschule

Beitrag von Momo »

Letztendlich hängt der Wandel und die Veränderung von jedem Einzelnen ab. Ich finde, Herr Hüther macht mit seinen Aussagen viel Mut und ich denke auch, dass in Zukunft tatsächlich eigenständige, kreative Menschen gebraucht werden. Menschen, die Herausforderungen meistern, indem sie in der Lage sind, kreative Lösungen zu finden. Denn gerade im Rahmen der Globalisierung werden die Menschen vor Aufgaben gestellt werden, deren Lösung man nicht in der Schule gelernt hat. Man hat höchstens gelernt, auf sich selbst vertrauen zu können und konstruktive Ideen und Lösungen zu entwickeln.

Ich habe beruflich, ich bin ja selbst Unternehmerin, mit vielen jungen Start- Up Firmen zu tun. Hier sprudelt es nur so vor neuen Ideen und Kreativität. Eigene Ideen sind sehr gefragt und entscheidet oft über eine weitere Zusammenarbeit. Bei den Mittelständischen Unternehmen ist ausschlaggebend, wie progressiv die Führung eingestellt ist. Es gibt vestaubte, alteingesessene Unternehmen, in denen die Mitarbeiter nur funktionieren sollen. Doch das merkt man der Atmosphäre sehr an und ich bin mir sicher, dass hier etwas geschehen wird, damit diese Unternehmen auf lange Sicht konkurrenzfähig bleiben können.
Doch, es ändert sich viel und es wird sich in Zukunft mit Sicherheit rasant weiter verändern!

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Re: Waldorfschule

Beitrag von Rabaukenmama »

Momo hat geschrieben:Letztendlich hängt der Wandel und die Veränderung von jedem Einzelnen ab. Ich finde, Herr Hüther macht mit seinen Aussagen viel Mut und ich denke auch, dass in Zukunft tatsächlich eigenständige, kreative Menschen gebraucht werden. Menschen, die Herausforderungen meistern, indem sie in der Lage sind, kreative Lösungen zu finden. Denn gerade im Rahmen der Globalisierung werden die Menschen vor Aufgaben gestellt werden, deren Lösung man nicht in der Schule gelernt hat. Man hat höchstens gelernt, auf sich selbst vertrauen zu können und konstruktive Ideen und Lösungen zu entwickeln.
Glaubst Du tatsächlich dass eigenständige, kreative Menschen nur (oder fast nur) aus Waldorfschulen kommen bzw. dort so "gemacht" werden? Und wie kommst Du darauf? Ich kenne etliche innovative, kreative Menschen, die aus der Regelschule kommen.

"Mut machen" ist eine Sache, komplett unrealistische Zukunftsvisionen (dass es in 6 Jahren in D Schulen wie heute nicht mehr geben wird) als real hinzustellen, eine andere. In meinen Augen ist der Typ ein Träumer - das ist mein Bild von ihm nach dem lesen des verlinkten Artikels.
Momo hat geschrieben: Ich habe beruflich, ich bin ja selbst Unternehmerin, mit vielen jungen Start- Up Firmen zu tun. Hier sprudelt es nur so vor neuen Ideen und Kreativität. Eigene Ideen sind sehr gefragt und entscheidet oft über eine weitere Zusammenarbeit. Bei den Mittelständischen Unternehmen ist ausschlaggebend, wie progressiv die Führung eingestellt ist. Es gibt vestaubte, alteingesessene Unternehmen, in denen die Mitarbeiter nur funktionieren sollen. Doch das merkt man der Atmosphäre sehr an und ich bin mir sicher, dass hier etwas geschehen wird, damit diese Unternehmen auf lange Sicht konkurrenzfähig bleiben können.
Doch, es ändert sich viel und es wird sich in Zukunft mit Sicherheit rasant weiter verändern!

Momo
Ich bin auch Optimist dass sich in Zukunft einiges zum positiven verändern wird. Aber nur durch positiv-denken allein wird das nicht geschehen. Es wird Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte in Anspruch nehmen und sicher auch auf einige Irrwege führen.

Und wie Hr. Hütter richtig schreibt (als er auf die Erfolge der Chinesen beim Pisa-Test angesprochen wurde) hat ja das "funktionieren" auch Vorteile. Ich glaube jedenfalls nicht dass in meiner Lebenszeit noch der Tag kommt, an dem der letzte "Funktionierer" ausgemustert wird. Heutzutage wird Kritikfähigkeit von intellektuellen Kreisen als durchaus positive Eigenschaft gesehen. Im echten Leben ist man damit aber oft schnell als Querulant abgestempelt. Klar braucht es AUCH Menschen, die auf die Barrikaden steigen und rufen "das passt uns gar nicht"! Aber auch heute gibt es etliche Länder, in denen es im Interesse des eigenen Überlebens wichtig ist, zu wissen, wann man den Mund halten muss (auch wenn das, was man zu sagen hätte, die reine Wahrheit wäre). Ich masse mir nicht an zu wissen, wie unsere Welt in 30 oder mehr Jahren (wenn unsere Kinder in unserem Alter sind) aussehen wird. Aber ich bin mir bewusst dass ich mit meiner heutigen Einstellung und Wesensart z.B. in der Nazizeit sehr wahrscheinlich im KZ gelandet wäre. Angst ist aber jetzt kein Grund für mich, mein Kind bewusst zum "funktionieren" zu erziehen - sehr wohl aber ein Denkanstoss dass es in der Zukunft ganz anders kommen kann, als es heute "erwartet wird.

Ich glaube, dass wir in Zukunft SOWOHL kreative als auch funktionierende Menschen brauchen und das eine das andere nicht unbedingt ausschließt. Es gibt aber Veranlagungen, die mMn berüchsichtigt werden sollten. Warum sind z.B. in Hotelanlagen (fast) nur total nette, kinderfreundliche motivierte Leute in der Kinderbetreuung tätig? Weil sich die grantigen, denen Kinder zu laut sind, nicht für diesen Job interessieren! Und weil sowohl die Kinder als auch die Eltern spüren, wenn wer da nur stur sein "Programm" abspult ohne mit Leib und Seele dabei zu sein.

Die Menschen sind nur mal verschieden. Ich habe einen sehr großen Freundes- und Bekanntenkreis. Da gibt´s nette Zeitgenossen, die sich nur in einer Arbeit wohlfühlen, wo´s klare Vorgaben gibt und andere, die viel Spaß daran haben selbst aktiv zu sein und Lösungen für kniffelige Probleme zu finden (dazu zähle ich mich selbst auch). Ich verstehe nicht, warum für alle die gleiche Schulform geeignet sein soll. Und das wohlbemerkt in beide Richtungen (Regelschule ebenso wie Waldorf)!
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Re: Waldorfschule

Beitrag von Momo »

Rabaukenmama hat geschrieben:
Glaubst Du tatsächlich dass eigenständige, kreative Menschen nur (oder fast nur) aus Waldorfschulen kommen bzw. dort so "gemacht" werden? Und wie kommst Du darauf? Ich kenne etliche innovative, kreative Menschen, die aus der Regelschule kommen.
Nein, nicht nur Waldorfschulen unterstützen die kreative und ganzheitliche Entwicklung von Kindern. Ich möchte dies überhaupt nicht nur auf Waldorfschulen beschränken, es gibt sehr viele tolle Freie Schulen mit sehr guten Konzepten und sicher gibt es auch sehr innovative, gute Regelschulen.

Ich glaube, dass eine Schule sehr stark zur Entwicklung der Kinder beiträgt und dass sie ein entscheidener Faktor ist, ob sich die Talente der Kinder entfalten können und sie zu eigenständigen, sicheren Persönlichkeiten werden oder ob sie sich früh lernen müssen zu fügen und zu funktionieren und die Entfaltung der Begabungen auf der Strecke bleibt.
Und deshalb sind jetzt wir Eltern gefragt, dass wir uns über unsere langfristigen Prioritäten der Wissensvermittlung bei der Schulwahl klar werden!

Momo
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Re: Waldorfschule

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"Lernen muss so schön sein, dass Kinder weinen, wenn sie Ferien haben. Und Kindheit muss so schön sein, dass man ein Leben lang davon zehrt".

Zitat von Gerald Hüther, Professor für Neurobiologie
"Unser Leben ist das, wozu unser Denken es macht." Mark Aurel (121-180)
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Re: Waldorfschule

Beitrag von Sine »

Momo hat geschrieben:"Lernen muss so schön sein, dass Kinder weinen, wenn sie Ferien haben. Und Kindheit muss so schön sein, dass man ein Leben lang davon zehrt".

Zitat von Gerald Hüther, Professor für Neurobiologie
:mrgreen: Dann ist mein Sohn wohl doch im richtigen Kindergarten, denn er mault seit Tagen rum, weil er nicht hin kann. Mal sehen wie es später ist, wenn er zur Schule kommt.

Mir selbst ging es, zumindest so ab 14 Jahren, eher so, daß ich froh war, wenn die Schule vorbei war, weil ich mich dann mit dem beschäftigen konnte, was ich wollte. Aber wirklich gesund war das nicht. Vor allem frage ich mich, was wohl aus mir geworden wäre, wenn ich selbst hätte entscheiden können, mit welchen Fächern ich mich beschäftige. Da wären wohl nur Kunst, Musik, vielleicht Sport und Deutsch bei rausgekommen (oder es hätte einige Neuerfindungen an Fächern geben müssen). Und die Fächer wären auch nur dann interessant gewesen, wenn tatsächlich praktisch gearbeitet worden wäre. Denn Kunstgeschichte und Notenlehre - nee, daß ist ja schon wieder langweilig (oder zumindest langweilig unterrichtet worden). So ging es mir damals (während das die ersten 4 Schuljahre noch nicht so war). Zum Glück hat sich das später gewandelt. Und ich denke, daß hing weniger mit der Schulform zusammen, sondern eher mit Problemen zu Hause?!

Spaß und Lernen finde ich auch, kann man trennen, bzw. darf es solche und solche Phasen geben. Ich lese dann und wann immer mal in einem Buch, wo es darum geht, daß es für die Kinder kontraproduktiv ist, wenn zu viele Bilder in den Schulbüchern sind. Weil sie ganz einfach ablenken. Auch heißt es dort, daß es wenig sinnvoll ist, den Kindern die Buchstaben in Kombination mit einem Bild bei zu bringen. Also bei A ist dann ein Auto daneben, bei H ein Haus. Weil die Kinder das dann verknüpfen und über den Umweg (H wie Haus) erst zum Buchstaben kommen. Ebenso wenig wird dort empfohlen, die Kinder nach Gehör schreiben lernen zu lassen. Weil sich die Fehler dann automatisieren, und später mühsam wieder umgelernt werden müssen. (was einmal im Hirn verankert ist...). Die Lernmethoden sollten nicht zu oft/schnell wechseln (einmal fassen wir den Buchstaben aus Holz an und tasten ihn ab, dann wird er geschrieben, dann wird sich wieder anders mit ihm beschäftigt... - so sollte es möglichst nicht sein). Usw. Finde ich interessant den Ansatz und eigentlich auch ganz logisch. Und wenn das Wissen auf diese Weise im Hirn gespeichert wird und abgerufen werden kann, ist Lernen an sich wahrscheinlich auch nicht anstrengend. Also es braucht dann nicht zwingend alles als Spiel verpackt sein, damit sich ein Kind überhaupt damit beschäftigen mag.
Davon mal abgesehen, wollen die Kinder denn alles auf spielerische Weise lernen? Klar, es sind Kinder, die spielen nun mal, aber ich glaube mein Sohn wäre zutiefst enttäuscht, wenn er in der Schule bunte Zahlen mit Gesichtern vorgesetzt bekommt, weil das lustiger aussieht. Ihn würde es womöglich mehr beeindrucken, ein richtiges Schreibheft zu bekommen, ganz schlicht und klar, nur mit Linien (bzw. Karos), und dort dann seine Übungen zu machen. Weil es eine ganz andere Erfahrung ist. Den "Kinderkram" kennt er ja nun aus dem Kindergarten, Schule bedeutet für ihn etwas anderes (denke ich). Und dennoch sind auch Spiele noch wichtig. Aber diese abgelöste Konzentration auf etwas, finde ich auch wichtig. Und sehe es wie Koschka, daß ein Kind von 6, 7 Jahren dazu in der Lage ist.

Den Wechsel zwischen still sitzen und sich bewegen finde ich schwierig für einen Lehrer zu meistern. Ich denke, da braucht man ein ganz feines Gespür für die Klasse, was wann sinnvoll ist. Denn ich kann mir auch vorstellen, daß es manche Kinder irritiert, plötzlich rumrennen oder springen zu können, und danach wieder runterfahren zu sollen. Vermutlich kann man das über bestimmte Übungen oder Abläufe aber ganz gut regeln?? Oder kommt der Bewegungsteil erst am Ende einer Stunde? Können die Lehrer das frei entscheiden?

Also bei uns gab es damals auch schon sogenannte "Zappelheinis" oder den Klassenclown. Ein Schüler war ganz arg betroffen, ein anderer nicht ganz so ausgeprägt. Ob das heute unter ADHS fallen würde?
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Re: Waldorfschule

Beitrag von Momo »

Sine hat geschrieben:
Davon mal abgesehen, wollen die Kinder denn alles auf spielerische Weise lernen? Klar, es sind Kinder, die spielen nun mal, aber ich glaube mein Sohn wäre zutiefst enttäuscht, wenn er in der Schule bunte Zahlen mit Gesichtern vorgesetzt bekommt, weil das lustiger aussieht. Ihn würde es womöglich mehr beeindrucken, ein richtiges Schreibheft zu bekommen, ganz schlicht und klar, nur mit Linien (bzw. Karos), und dort dann seine Übungen zu machen. Weil es eine ganz andere Erfahrung ist. Den "Kinderkram" kennt er ja nun aus dem Kindergarten, Schule bedeutet für ihn etwas anderes (denke ich). Und dennoch sind auch Spiele noch wichtig. Aber diese abgelöste Konzentration auf etwas, finde ich auch wichtig. Und sehe es wie Koschka, daß ein Kind von 6, 7 Jahren dazu in der Lage ist.
Liebe Sine, ich glaube, viele haben ein bestimmtes Bild von "spielerischem Lernen" im Kopf, welches zumindest dem Lernen in einer Waldorfschule nicht entspricht. Spielerisch heißt in diesem Fall, Dinge zu erfahren, zu begreifen, selbst herauszufinden. In Waldorfschulen wird aus diesem Grund erst in der Oberstufe mit vorgefertigten Büchern gearbeitet. Vorher fertigen die Kinder im Unterricht selbst Hefte an, mit selbst erstellten Bildern und Texten. Der Effekt ist, dass alles Gelernte auch noch richtig "durch die Hand gegangen ist" und somit auf einer zusätzlichen Ebene verinnerlicht werden kann. Vorgefertigte, bunte, ablenkende Bilder und Lerninhalte wird man in einer Waldorfschule nicht finden. Auf das Schreiben bezogen wurde bei uns viel ausprobiert. Ich erinnere mich noch daran, dass ich altdeutsche Buchstaben gelernt habe (natürlich zusätzlich zur normalen Druck- und Schreibschrift) und mit einer selbstgefundenen Schwanenfeder und Tinte auf hochwertigem Papier im Unterricht schreiben durfte. Das sind Erlebnisse die Freude bringen und die man nicht vergisst. Diese Erlebnisse stoßen etwas an, wecken den Sinn für Ästhetisches und das Interesse, weiter zu schauen, Neues zu probieren und weiter zu denken. Das heißt für mich spielerisch.

Momo
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Re: Waldorfschule

Beitrag von Rabaukenmama »

Momo hat geschrieben:"Lernen muss so schön sein, dass Kinder weinen, wenn sie Ferien haben. Und Kindheit muss so schön sein, dass man ein Leben lang davon zehrt".

Zitat von Gerald Hüther, Professor für Neurobiologie
Komisches Zitat. Müssen demnach die Ferien schrecklich sein und das Erwachsenenleben so mies, dass man unbedingt was braucht, wovon man zehren kann?

Nein, natürlich ahne ich, was Herr Hütter meint! Nur fällt mir da ein Zitat von Hermann Hesse ein (aus "Siddhartha", meinem Lieblingsbuch):

"Von jeder Wahrheit ist das Gegenteil ebenso wahr! Nämlich so: eine Wahrheit lässt sich immer nur aussprechen und in Worte hüllen, wenn sie einseitig ist. Einseitig ist alles, was mit Gedanken gedacht und mit Worten gesagt werden kann, alles einseitig, alles halb, alles entbehrt der Ganzheit, des Runden, der Einheit. Die Welt selbst aber, das Seiende um uns her und in uns innen, ist nie einseitig."


Sine hat geschrieben: Spaß und Lernen finde ich auch, kann man trennen, bzw. darf es solche und solche Phasen geben. Ich lese dann und wann immer mal in einem Buch, wo es darum geht, daß es für die Kinder kontraproduktiv ist, wenn zu viele Bilder in den Schulbüchern sind. Weil sie ganz einfach ablenken. Auch heißt es dort, daß es wenig sinnvoll ist, den Kindern die Buchstaben in Kombination mit einem Bild bei zu bringen. Also bei A ist dann ein Auto daneben, bei H ein Haus. Weil die Kinder das dann verknüpfen und über den Umweg (H wie Haus) erst zum Buchstaben kommen. Ebenso wenig wird dort empfohlen, die Kinder nach Gehör schreiben lernen zu lassen. Weil sich die Fehler dann automatisieren, und später mühsam wieder umgelernt werden müssen. (was einmal im Hirn verankert ist...). Die Lernmethoden sollten nicht zu oft/schnell wechseln (einmal fassen wir den Buchstaben aus Holz an und tasten ihn ab, dann wird er geschrieben, dann wird sich wieder anders mit ihm beschäftigt... - so sollte es möglichst nicht sein). Usw. Finde ich interessant den Ansatz und eigentlich auch ganz logisch. Und wenn das Wissen auf diese Weise im Hirn gespeichert wird und abgerufen werden kann, ist Lernen an sich wahrscheinlich auch nicht anstrengend. Also es braucht dann nicht zwingend alles als Spiel verpackt sein, damit sich ein Kind überhaupt damit beschäftigen mag.
Was für ein Buch ist das, in dem so was steht? Kommt mir sehr nach irgendwie in den Raum geworfenen Theorien vor und als würde der Autor (oder die Autorin) glauben, zu wissen, wie Kinder generell lernen. Aber jeder Mensch hat einen anderen Zugang zu dem Thema. Im autobiografischen Roman "Die Erfindung des Lebens" (von Hanns-Josef Ortheil) beschreibt der Autor, wie er als stummes Kind einen Zugang zur Welt und den Begriffen bekommt - und dahinterkommt, der er selbst offensichtlich ganz anders "funktioniert" als andere Menschen.

Wenn der Autor des von dir erwähnten Buches dazu rät, die Kinder nicht nach Gehör schreiben zu lassen, dann frage ich mich, ob er noch nie darauf gekommen ist, dass es Kinder gibt, die einfach von sich aus beginnen, nach Gehör zu schreiben. Wie dann agieren? Ihnen das schreiben überhaupt verbieten oder jeder falsch geschriebene Wort korrigieren und noch mal richtig schreiben lassen?

Nicht missverstehen, ich finde andere Ansätze zu jedem Bereich des Lebens interessant und "entdecke" selbst immer wieder welche. Aber kundzutun, wie das lernen bei Kindern (nach der Ansicht dieses Autors) NICHT funktioniert würde auch erforden, zu erklären, WIE es funktioniert. Und genau DAS ist mMn nicht möglich, weil es nicht bei allen Kindern GLEICH funktioniert. Daher braucht auch nicht jedes Kind die gleiche Herangehensweise bzw. die gleiche Schule.
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Re: Waldorfschule

Beitrag von Momo »

Rabaukenmama hat geschrieben:
Zitat von Herrmann Hesse:
"Von jeder Wahrheit ist das Gegenteil ebenso wahr! Nämlich so: eine Wahrheit lässt sich immer nur aussprechen und in Worte hüllen, wenn sie einseitig ist. Einseitig ist alles, was mit Gedanken gedacht und mit Worten gesagt werden kann, alles einseitig, alles halb, alles entbehrt der Ganzheit, des Runden, der Einheit. Die Welt selbst aber, das Seiende um uns her und in uns innen, ist nie einseitig."
Ein schönes Zitat von Herrmann Hesse! Ich finde es auch wichtig, zu einem Thema viele Seiten zu beleuchten und sich im Ganzen auseinanderzusetzen. Doch auf der anderen Seite finde ich es auch wichtig, zu brisanten Themen irgendwann Stellung zu beziehen und klar eine eigene Meinung und Wahrheit zu vertreten, meinst Du nicht? Na klar haben alle Themen zwei Seiten und in einem guten Krimi kann man manchmal sogar die Intentionen von Mördern nachvollziehen (ein drastisches Beispiel, dies hat jetzt nichts mit der Schulwahl zu tun ;) ). Dennoch gibt es ein Wertesystem, nach dem ein jeder Mensch Stellung bezieht und auch beziehen sollte.

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