Erstmal, danke für Lesen und die aufmunternden Worte!
Ich sage es jetzt mal so: Es ist ja nicht so, dass mir alles misslungen ist, was ich angefangen habe. Aber das Gefühl, der Stolz, die Erfüllung war einfach nie da. Ich weiß nicht, wie man das erklären soll. Z. B. denken ja meistens alle, dass man sein Studium abbricht, weil man dort keinen Erfolg zu verzeichnen hat. Das war aber bei mir nicht so. Ich hatte in beiden Studiengängen bereits relativ zügig meine Scheine gemacht. Allerdings flachte meine Motivation in dem normalen Uni-Alltag ab. Ich habe die ganze Zeit gedacht, irgendwas habe ich übersehen oder nicht mitbekommen. Es schien wie ein großes Geheimnis, das alle kennen, nur ich komme nicht dahinter. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich dachte, dass ich diesen Statistik-Schein unmöglich bestehen kann, weil ich überhaupt nicht verstehe, was ich da rechne. Und trotzdem hatte ich bestanden und gar nicht mal so schlecht. Und ich habe mir dabei immer wieder die Frage gestellt: Warum ist denen das so egal, ob ich das verstanden habe? Warum geben die mir dafür einen Schein?
Und dann kam diese Mühle von Blockaden, von Hausarbeiten, die ich entweder nie zuende geschrieben oder nie abgegeben habe, weil sie mir nicht fertig schienen. Dann bin ich zu Seminaren nicht mehr hingegangen, weil ich dieses Schwadronieren der älteren Semster nicht mehr ertragen konnte. Ich verspürte einfach eine unerträgliche Langeweile, weil in den Seminaren aus den interessanten Themen so wenig gemacht wurde. Es wurde immer nur platt-diskutiert. Ich kann mich noch erinnern, dass ich mal in einem Seminar selbst ein Referat über Esstörungen gehalten habe. Ein Thema, was meiner Meinung nach von den Medien so ausgelutscht war, dass ich dachte, ich müsste das mal von einer anderen Seite beleuchten. Also bin ich ins Internet gegangen und habe mich in diversen Seiten und Foren darüber informiert, wie man sich so ein Leben mit Esstörungen wohl vorstellen muss. Ich bin das Ganze dann auch sehr technisch angegangen und habe beschrieben, mit welchen organisatorischen Problemen und welchen Wegwehchen sich die Essgestörten herumplagen. Ich habe dann beschreiben, in welcher Reihenfolge welche Lebensmittel beim Fressanfall verschlungen werden, immer mit dem Hintergedanken, wie sie sich am besten hinterher wieder herauswürgen lassen. Des weiteren habe ich mich noch mit der Frage von Schuld und Verantwortung beschäftigt und welche Auswirkungen das auf eine eventuelle Therapie haben kann, wie man damit umgeht.
Bei dem ganzen Referat war es totenstill im Raum. Ich dachte die ganze Zeit, dass ich mich gerade bis auf die Knochen blamiere, aber dann dachte ich, du musst das jetzt durchziehen. Als ich fertig war, habe ich dann gefragt, ob einer noch Fragen dazu hätte und keiner fragte irgendwas. Und ich dachte noch: Oh, nein, war ich so langweilig?!
Dann sagte die eine Dozentin, dass sie dieses Seminar jetzt schon seit 11 Jahren macht und das so noch nie gehört hätte. Sie wollte dann wissen, woher ich meine Quellen hätte. Es war sehr sonderbar, denn manches hatte ich dann aus irgendwelchen klinischen Fachbüchern, die eigentlich nur aus Statistiken bestanden. Angefangen hatte ich mit einem Dossier aus der Brigitte und bin dann über Querverweise immer tiefer in das Thema eingedrungen. (Man muss halt wissen, wonach man suchen muss, sonst findet man das auch nicht.)
Und dann fragte sie noch: In welchem Semester sind Sie nochmal?

(Ich dachte, jetzt kommt die dicke Belehrung, von wegen: So macht man das aber nicht, das methodisch nicht ganz korrekt blabla). Aber sie meinte dann ernsthaft, ob ich ihr meine Notizen überlassen würde. Und dann gings los, dann meldetet sich auf einmal eine Studentin, die nochmal auf das Thema "Schuld" und die Rolle der Eltern zurückkommen wollte. Und dann musste ich noch 20 Minuten Rede und Antwort stehen, obwohl mein Referat selbst nur 15 Minuten gedauert hat. Ich kam mir vor wie bei einer mündlichen Prüfung.
Und der Hammer war dann noch, dass ich am Ende hingegangen bin und gefragt habe, ob ich denn den Schein jetzt bekomme oder nicht.

Da hat die Dozentin mich dann wirklich ausgelacht. (Ich dachte wirklich bis zum Schluss, ich hätte alles falsch gemacht. Und sie hat dann auch gesagt, dass es nicht oft vorkommt, dass sie nochmal etwas Neues zu hören bekommt und hat sich sogar noch bei mir bedankt.)
In diesem Seminar hatten wir eine ganze Reihe von Referaten. Und weder vor mir noch danach war die Atmosphäre wieder so komisch wie bei mir. Es war so, als ob ich die Zuhörer total verstört hätte mit dem, was ich da vom Stapel gelassen habe. Und es liegt nicht nur am Thema, denn wir hatten auch noch sexuellen Missbrauch und andere heiße Eisen, die an die Substanz gehen können.
Ich hatte einfach die ganze Zeit das Gefühl, ich passe da nicht rein, ich gehöre nicht dahin. Und dann bin ich ja ganz mutig zur psychologischen Beratungsstelle gestapft und habe dort gefragt, was mit mir wohl nicht stimmt, dass ich schon beim Betreten des Gebäudes Krämpfe kriege. Ich hatte genügend Freunde und Kommilitionen, mit denen ich mich gut verstanden habe und mit denen ich auch gerne in der Cafete zusammengesessen habe. Ich war also nicht einsam oder so. Und dann habe ich einen Orientierungskurs für Studienabbrecher besucht, auf dem recht schnell klar wurde: Ich bin dort nur hingegangen, weil ich mich verpflichtet gefühlt habe, dass ich mit Abitur auch ein Studium absolvieren muss. Meine Ausbildung nach dem Studium war dann auch ein gewagtes Experiment. Mein Ausbilder hat dann auch über mich gesagt, ich wäre die schlimmste Azubine gewesen, die der Betrieb je hatte. Einmal bin ich mit meinem Chef total aneinander geraten, mir gings schlecht und ich bin dann drei Tage unentschuldigt vom Betrieb fern geblieben. Dann bin ich zu einem Psychotherapeuten gegangen und habe mich beraten lassen, ob ich es unter der psychischen Belastung noch riskieren soll, die Ausbildung durchzuziehen. Das Problem war, dass ich einfach mehr und schwierigere Sachen machen musste als die anderen Auszubildenden und auch ständig unangekündigte Überstunden machen musste. Es war ein ewiges Hin- und Herschwenken zwischen Ausnutzen meiner Begabung und einem In-die-Schranken-Weisen, damit ich mich nicht als was Besseres fühle. Ich sollte gleichzeitig selbstständig Aufgaben übernehmen, organisieren und lösen, aber dann wieder überhaupt keine eigenen Entscheidungen treffen und nur strikt nach Anweisung arbeiten. Meine Chef hatte so eine Art, mich nach einer Phase der Bevorzugung wieder zur Kaffeetante zu degradieren. Dann sagte mein Chef plötzlich, dass er für alle Kuchen ausgeben würde. Ich war dann meistens diejenige, die dann den Kuchen kaufen und den Kaffee kochen und servieren musste. Und dann durfte ich wieder Freitag abend um 20 Uhr mit ihm eine Beurkundung von mehreren Grundstückskaufverträgen vorbereiten. Ich hatte einen Textbaustein und ein paar Lägepläne und dann hieß es: Mach was draus!
Natürlich bin ich heftig ins Schwitzen gekommen, aber es ist dann am Ende immer gut gegangen. Heute weiß ich natürlich, dass meine Klassenkameraden aus der Berufschule solche Aufgaben nie bekommen haben. Das Risiko ist einfach zu hoch, dass was schief geht.
Vielleicht wäre es leichter gewesen, wenn ich eine klare Rückmeldung bekommen hätte, dass ich besondere Begabung habe. Ich hatte meistens das Gefühl, ich mach immer genau das Falsche. Da fällt es dann natürlich auch schwer, überhaupt von einer beruflichen Karriere zu träumen, weil man sich selbst auch gar nichts mehr zutraut.
Was ich auf jeden Fall als Erfolg verbuchen kann, ist meine Beziehung/Ehe. Ich bin seit bald 13 Jahren mit ein und demselben Mann zusammen und ich würde mal behaupten, wir lieben uns immer noch. Wir hatten so einige Krisen, die wir aber bis jetzt immer irgendwie überstanden haben. Ich habe schon gedacht, wenn mir gar nichts mehr einfällt, schreibe ich mal einen Beziehungsratgeber.

"Entschuldigung, ich habe nur kurz fantasiert." meine große Tochter, 4 Jahre alt (inzwischen 9 geworden)