Interessant, dass du das schreibst, Koschka.
In der Tat bin ich mir inzwischen ziemlich sicher, dass sie auch Probleme mit "zu viel Reizen" hat. Ich hatte in anderem Zusammenhang schon mal geschrieben, dass es sein könnte, dass sie "hochsensibel" ist. Obs das wirklich gibt, weiß ich nicht. Man kanns auch nicht genau feststellen oder beweisen. Es gibt aber definitiv so eine Art "Menschentyp" auf den bestimmte Beschreibungen passen und da gehört sie anscheinend dazu. Ich leider auch.
Im Großen und Ganzen geht es dabei eben um Reizüberflutung. Man sagt diese Menschen würden mehr Reize als andere aufnehmen und deswegen schneller "überreizt" sein. In der Tat, wird dann empfohlen sich in ein ruhiges Zimmer zurück zu ziehen. Häufig wird von Hochsensibilität in Zusammenhang mit HB gesprochen und es soll wohl häufig mit HB in Kombination vorkommen, kann wohl aber auch ohne HB sein.
Diese permanente Reizüberflutung bewirkt diffusen Stress und dann können verschiedene allgemeine Stresssymptome auftreten, die aber auch in anderem Zusammenhang wie z.B. AD(H)S oder Asperger (auch ein Problem mit Reizüberflutung - liegt in dem Fall aber eher an der Verarbeitung) zu beobachten sind.
Ganz spezifische Merkmale dagegen sollen wohl sehr viel Kreativität, Fantasie, emotionale Empfindsamkeit und ein Gespür für Zwischenmenschliches oder auch Unausgesprochenes sein.
Nun, unsere Schwierigkeiten sind mehr oder weniger Tagesform abhängig und es ist nicht unbedingt so, dass die Große nach bestimmten Ereignissen überdreht, sondern vor allen Dingen, wenn sie schlecht drauf, hungrig oder müde ist. In wühligen Situationen zieht sie sich dann lieber in ihre eigene Fantasiewelt zurück und kommt erst wieder aus sich raus, wenns ruhiger ist. Sie schafft sich ihr ruhiges Zimmer praktisch selbst, indem sie sich absondert. Kurios ist allerdings, dass es ihr dann in wirklich ruhigen Situationen wieder "zu langweilig" ist und sie umbedingt etwas unternehmen will und mich regelrecht quält, doch endlich Kinder einzuladen oder irgendwo hin zu fahren. Allerdings sind dann mehr als zwei Kinder zu Besuch - ganz wie bei euch - definitiv zu viel. Besser noch - nur ein Kind. Sonst wird sie quengelig und/oder zieht sich zurück.
Die zweite Schwierigkeit ist, dass sie sich vieles viel zu sehr zu Herzen nimmt. Unbedachte Kinderworte nimmt sie bitter ernst und ist tagelang tiefbetrübt. Auch wenn Dinge kaputt gehen oder Lebewesen krank werden beunruhigt sie das zutiefst. Ein umgefahrener Pfahl einer Ampel "verfolgt" sie tagelang. Sie überlegt dann, was nun aus dem wird, und dass der doch nicht so bleiben kann. Die Ampeln sind ja wichtig, sonst gibts doch Unfälle...
Sie ist aber insgesamt wirklich gut darin sämtliche Strategien anzuwenden, die Stress minimieren. Sie zieht sich von selbst zurück, sie versucht sich Muster und Strukturen zu erschließen, wo sie Neues schnell einordnen kann, sie versucht möglichst viel selber zu können und selbst zu bestimmen, sodass nicht so viel Unvorhergesehens und Unkontrollierbares sie bedrohen kann, sie sucht viel Nähe und Geborgenheit, sie fordert Aufmerksamkeit und Anleitung ein und sie bewegt sich (treibt Sport), wenn sie zu kribbelig wird.
Ich versuche sie dabei zu unterstützen und ihr einen sicheren Rahmen zu bieten (Rituale, klare Regeln und Grenzen, viel Liebe und Respekt, Vertrauen in ihre Fähigkeiten, Antworten auf ihre Fragen...), aber es ist manchmal schwierig sich ständig auf sie einzulassen, weil ihr Bruder ja auch noch da ist und ganz schön viel einfordert. Soll heißen, manchmal habe ich einfach keine Zeit stundenlang mit ihr herum zu kaspern, weil ich böse Mama es gewagt habe, das heiße Essen ein paar mal umzurühren und abzukühlen, wodurch ich leider ihre Essästhetik zerstört habe - Riesentheater (die Tomatensoße liegt nicht mehr oben auf den Nudeln - was allerdings nicht immer ein Problem ist, nur wenns ihr grade mal so passt). Damit muss sie dann einfach leben, wenn ihr Bruder gleichzeitig versucht auf verschiedenste Art mit dem Küchenstuhl umzukippen und sich weigert sich in sein Stühlchen setzen zu lassen.
Jetzt ist es schon wieder nen Roman geworden.
Aber vielleicht schreibst du ja mal, wie ihr jetzt inzwischen damit klarkommt, Koschka. Ich meine außer das mit dem ruhigen Zimmer. Wie ist das sonst so im Alltag? Vielleicht kann ich was von euch lernen.