Uns ist da auch schon aufgefallen, dass Amelie sich irgendwie seltsam verhalten hat, denn wir kannten sie so gar nicht. Nach dem Test wurden wir verabschiedet und dann hat uns der Kinderarzt nur mitgeteilt, dass die Fachfrau für Autismus eine autistische Störung ziemlich sicher ausgeschlossen hat. Es fiel jedoch auf, dass Amelie motorisch ein paar Defizite hatte und dass sie eben sehr eigenwillig ist. Im Hinblick auf die Schule wäre deshalb sinnvoll, eine Ergotherapie zu beginnen, in der sie lernt, Aufgaben nach Anweisungen auszuführen und diese ggf. auch zu unterbrechen oder unfertig zu beenden. Es wurde ein leichter Hang zum Perfektionismus festgestellt. (Was das im Einzelnen bedeutet hat, wurde uns auch erst später bewusst, als sie dann in der Ergotherapie war.)
Des weiteren bekam sie wegen der Probleme mit Gruppensituationen noch eine Verordnung für den Reha-Sport. Wir haben das brav alles angeleiert, aber es war zunächst ganz fürchterlich, da Amelie erstmal mit Komplett-Verweigerung reagierte. Die ersten Stunden war ich noch mit dabei, dann sollte Amelie allein dableiben, was schon die erste größte Herausforderung war, denn sie versuchte natürlich auszubüxen. Erst mit ganz viel Geduld und Spucke ließ sie sich dann auf die Maßnahmen ein und wurde mit der Zeit ruhiger und zugänglicher.
Irgendwann mit der Zeit las ich mich auch in das Thema Autistische Störungen bei Kindern ein. Ich kam dann über das Thema auch auf ADHS und schließlich hatte ich das Gefühl, dass die vorliegenden Symptome immer öfter in den Beschreibungen von hochbegabten Kindern auftauchten. Wir hatten ja Anfang des Jahres schon die U 8 und da war ich schon erstaunt, was Amelie so alles wusste und konnte und erzählte. Mir war nicht so ganz klar, woher sie das alles hatte, vermutete aber, dass sie dies alles im Kindergarten aufgeschnappt hätte.
So richtig stutzig wurde ich dann, als sie einmal mit einem Stock ihren Namen in den Sand malte. Ich ging davon aus, dass sie das auch im Kindergarten machte, aber dann erzählte sie mir, dass sie eine von den Kleinen sei und bei den Buchstaben-Übungen nicht mitmachen dürfe. Ich habe dann herumgefragt, wer aus der Familie ihr das beigebracht hat, aber keiner wollte es gewesen sein. Zuerst habe ich mich gefreut und war stolz, bis Amelie mich eindringlich bat: Bitte, Mama, du darfst niemandem erzählen, dass ich schon meinen Namen schreiben kann. Das darf keiner wissen, besonders nicht die Kinder im Kindergarten."
So nach und nach habe ich mal nachgefühlt und merkte, dass es durchaus nicht normal war, dass die kleinen Kinder Buchstaben übten oder ihren Namen schreiben konnten. Ich hielt das für normal, da die Töchter meiner Freundinnen alle schon älter waren. Daher schien mir alles, was Amelie neu lernte, einfach selbstverständlich. Mir war nur nicht klar, dass sie teilweise 1 bis 2 Jahre früher damit dran war. Wir hatten jetzt über die Feiertage Übernachtungsgäste und die Tochter von denen wird jetzt 6 Jahre alt. Amelie hatte zu ihrem 5. Geburtstag ein Legespiel geschenkt bekommen, dass sie bereits mit Begeisterung spielte. Natürlich freute sie sich über einen Spielpartner und holte sofort ihr neues Spiel heraus. Nach ca. 10 Minuten weinte das Mädchen dann, weil sie nicht verstanden hat, was man bei dem Spiel machen muss.
Im Sommer 2010 machte der Kinderarzt dann mit Amelie einen unangekündigten Entwicklungstest in der Praxis und erzählte mir dann, dass Amelie alles mitgemacht hat, alle Aufgaben lösen konnte und dann auch noch Lösungen angeboten hat für Probleme, die in ihrer Altersklasse normalerweise noch gar nicht gefragt werden. Des weiteren erwähnte er noch, dass sie sprachlich ganz deutlich über ihrem Altersschnitt liegt, aber diesen Test hätte er nur der Form halber gemacht, weil das offensichtlich sei. Aber auch hier wieder, kurze knappe Information zwischen Tür und Angel. Ich habe keine Information darüber, welche Art Test es war, noch was er daraus für Konsequenzen ableitet. Er hat nur gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen soll und dass Amelie ihren Weg finden wird.

Dann kamen die Kindergartenferien und im neuen Kindergartenjahr wurde die Situation im Kindergarten immer schlimmer, während es sich zuhause und bei der Ergotherapie stetig zu bessern schien. Amelie verweigert alles im Kindergarten, begann in einer komischen Babysprache zu sprechen und lief immer öfter aus dem Gruppenraum und lungerte dann im Büro der Kindergarten-Leiterin herum und fragte diese über ihre Arbeit aus. Bei Singkreis legte sie sich in die Mitte des Kreises auf den Fußboden und starrte an die Decke. usw. Dann fing sie an, nachdem sie nun schon lange komplett trocken war, wieder jede Nacht ins Bett zu machen. Sie wollte nicht mehr alleine schlafen. Wenn ich sie am Nachmittag fragte, was sie denn machen will, sagte sie nur noch: Fernsehen oder meine Ruhe haben. Oder zu Oma fahren und da übernachten. Oder: In die Pfalz fahren und meine Freundin besuchen.
Amelies kleine Schwester hatte ich mittlerweile in einer Krippe hier in der Nachbarschaft angemeldet. Ich wollte wieder ins Berufsleben zurückkehren und war dementsprechend irritiert, weil die Einführung in die Krippe ziemlich problemlos verlief, aber dafür meine große Tochter plötzlich nicht mehr in den Kindergarten gehen wollte. In meiner Verzweiflung erzählte ich der Leiterin von Lenas Krippe davon. ich schrieb ihr dann eine email mit den groben Eckdaten, weil ich fragen wollte, wie man denn in dieser Situation am besten vorgehen sollte. Wie es der unglaublichste Zufall ever wollte, hatte die Frau selbst drei hochbegabte Söhne und war in diesem Bereich der Experte schlechthin. Nachdem sie ein paarmal auf meine Ausführungen hin gesagt hatte: Kenne ich, kommt mir bekannt vor usw., sprach sie dann auch aus, was sie dachte: Amelie ist total unterfordert, deswegen zeigt sie dieses Verhalten auch nur im Kindergarten. Sie bot uns einen Platz an, der allerdings mit den Betreuungzeiten nicht ganz optimal war. Da aber klar war, dass irgendwas passieren musste, beschloss ich dann, dass Amelie wechseln wird. Und schon ab dem Moment, als wir ihr erzählt haben, dass sie bald in einen anderen Kindergarten gehen wird, war sie wie ausgewechselt.
Der Kindergarten hat gruppenübergreifende Angebote in Kleingruppen und zweimal in der Woche Angebote für alle Kinder in der Turnhalle. Seitdem hat man das Gefühl, Amelie möchte im Kindergarten am liebsten jeden Tag mit allen Sachen gleichzeitig spielen. Sie bastelt und malt im Akkord, bietet freiwilig ihre Hilfe an, hat direkt beim Herbstfest in einer Aufführung ein Instrument übernommen usw. Alles Dinge, die im anderen Kindergarten undenkbar gewesen wären. Und zu ihrem Geburtstag hat sie 3 Mädchen aus ihrer Gruppe eingeladen, die nun alle ihre Freundinnen sind. Wir wussten ja, dass in dieser Gruppe noch ein anderes hochbegabtes Kind ist. Amelie hat dieses Kind zielsicher aufgespürt. Nun sitzen die beiden zu zweit unter dem Tisch und beobachten die anderen Kinder. Aber wenn man es zu zweit macht, kann es ja kein Autismus mehr sein, nicht wahr?

Die Ergotherapie ist nun beendet, motorisch und von der Konzentrationsfähigkeit hat sie alle Defizite wieder aufgeholt. Zum Sport werden wir aber weiterhin noch bis zur Einschulung gehen.
Ja, was noch auffällt: Seitdem sie den Kindergarten gewechselt hat, schläft sie noch weniger und rödelt manchmal bis 23 Uhr in ihrem Zimmer herum. Allerdings schläft sie morgens trotzdem nicht länger.


Jetzt demnächst steht noch die U 9 an und dann werde ich mal berichten, was der Kinderarzt so sagt.