Diskussionsthema Schule

Probleme und Lösungen für den Schulalltag
Edainwen
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von Edainwen »

Koschka hat geschrieben:Nehmen wir an, Kinder sind in der 4. Klasse 10 Jahre alt. Bei IQ 130 entspricht das dem kognitiven Alter von 13 Jahen, bei 80 - 8 Jahren. Sie undifferenziert zu unterrichten ist nicht gerecht für beide Seiten. Nimmt man die 6. Klasse, Gymnasium, Mathematik - Bruchrechnen, Gleichungen, Dezimalzahlen - für die schwächeren definitiv zu früh, für die fitteren nicht mehr interesant. Was soll dann der Lehrer machen? Es geht dann nicht mehr um Differenzierung innerhalb Themen, sondern um ganz individuellen Lehrplan. Das ist in Deutschland gar nicht realisierbar. So eine Verlängerung der Grundschule wird nur dazu führen, dass das Niveau der 5. und 6. Klasse auf das Niveau von Hauptschule runter gefahren wird. Damit den Kindern aus allen sozialen Schichten der Besuch eines Gymnasium möglich wird, muss man nicht das ganze System umkrempeln, keine Gebäuden umbauen, keine neuen Lehrpläne erschaffen und was weiß ich noch an kosten verursachen, sondern sich um die Kinder individuell kümmern. Das kostet viel weniger als die Umstüzung des Systems und bringt viel mehr. Man braucht mehr individuelle Möglichkeiten. Wenn ich eine Klasse habe, in der 15 der 30 Kindern nur Türkisch können, dann brauche ich für die ersten zwei Jahren eine zweite Lehrerin, die türkisch beherrscht und somit den Kindern helfen kann. Eigentlich muss das ja gar keine nach einem deutschen Lehrplan ausgebildete Lehrerin sein, es reicht wenn sie als Vermittlerin zwischen Leherin und den Kindern agiert. Es können auch Mütter der Schüler übernehmen, freiwillige, ehrenamtliche. Unsere Gesellschaft hat so viele Rentner, einige davon wissen gar nicht mehr was sie mit iher Freizeit anfangen können. Klar ist das nicht zuverlässig, aber wäre das nicht besser als nichts? Aber nein, unsere Schule hat sich schon genug aufgeregt, weil so genannte "Lesemütter", die mit Kindern lesen übten das eigentlich nicht hätten machen dürfen. Sonst kommen sie an die vertraute Informationen, wer wie gut, oder in dem Falle wie schlecht lesen kann. Ich wollte an unsere Grundschule ein Fachübergreifendes angebot für begabte und gelangweilte machen. Der Schulleiter, ansonsten korrekt und zuvorkommend hat mir klar vermittelt, dass er gar keine Selektion an seiner Schule betreiben will. Dabei war nicht von einem IQ die Rede, sondern von Kindern, die zusätzlichen Reiz nach oben laut ihrer Lehrer wirklich brauchen. Solange das offiziel verboten und verpönt ist, wll ich keine gemeinsame zusätzliche Zeit in der Grundschule. Jedes Kind hat Recht auf Bildung und nicht nur auf Strafarbeit.
Koschka, ich unterschreibe voll und ganz bei Dir!

Die wohl hochbegabte Tochter einer Freundin geht zur Zeit in die 6. Klasse einer Grundschule in Berlin - in Berlin geht die Grundschule nämlich bis zur 6. Klasse. Sie hatte sich lange überlegt, nach der 4. auf ein grundständisches Gymnasium zu gehen, wollte dann aber doch nicht, da sie am liebsten ein musisches Gymnasium besuchen möchte, das erst zur 7. Klasse beginnt, und ein Wechsels zwischen den beiden Gymnasien zur 7. wohl nicht möglich gewesen wäre. Zum anderen wird dort ja immer auf die Tränendrüse gedrückt, wenn jemand schon zur 5. wechseln möchte, das wäre asozial und längeres gemeinsames Lernen wäre besser, ... Es ist tatsächlich so, dass das Niveau nach der 4. Klasse nochmals deutlich gesunken ist - zumal davor wohl recht gut differenziert wurde, was aber ab der 5. total eingebrochen ist - und sich das Mädchen nun halbwegs zu Tode langweilt. Der kleine Bruder soll aufgrund dieser Erfahrungen nun doch nach der 4. Klasse wechseln.
laurina
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von laurina »

@Koschka,
genauso habe ich es hier in Bayern auch erlebt. Teilweise sind die Lehrer in der 5. Klasse damit beschäftigt, den Kindern die durch Grundschullehrer (die als Qualifikation wohl nichts als ihr eigenes Schulenglisch mitbringen ...) falsch vermittelte Aussprache wieder auszutreiben ... Und innerhalb des ersten Monats am Gymnasium lernen sie in Sachen Grammatik mehr, als in den zwei Jahren an der Grundschule. Das einzige, was mein Sohn aus der Grundschule noch konnte, waren die Farben, diverse Bauernhoftiere und ihre Lautäußerungen, die Zahlen von 1-20 und ein paar Wochentage.

@Rabaukenmama,
so wie du das beschreibst, klingt es viel sinnvoller. Von native speakers kann man hierzulande nur träumen, die habe ich außerhalb Englands erstmals an der Uni erlebt.

Was definitiv trotz der englischen Rundumberieselung in Radio und Werbung fehlt, ist ein konkreter Bezug zur Lebenswirklichkeit der Kinder. Die Tatsache, dass viele englischsprachige Filme in den skandinavischen Ländern gar nicht synchronisiert werden, trägt erheblich zum hohen Englischniveau dort bei.

Ein bedenkenswertes Argument gegen Englischunterricht bereits an Grundschulen stammte übrigens von meinem Englisch-Didaktik-Professor (der ja eigentlich ein gegenteiliges Interesse hätte vertreten müssen ...):
Beim normalen schulischen Englischunterricht tritt etwa im vierten Lernjahr eine Stagnation ein, d.h., es kommt bei der Mehrzahl der Schüler zu keinem messbaren Sprachkompetenz-Zuwachs mehr: Ein Achtklässler kann sich schriftlich und mündlich genauso gut ausdrücken wie ein Elftklässler (abgesehen von einem evtl. vorhandenen Vokabelvorsprung). Bestimmte Fehler wie das Fehlen des 3.-Person-s ziehen sich sogar bis in die Abschlussprüfungen durch. Daher tritt etwa im vierten Lernjahr bei den meisten Schülern eine Frustration ein, da sie keine Fortschritte mehr bei sich wahrnehmen. Frustration führt zu Motivationsverlust; Englisch wird als nervig empfunden. Beginnt nun der Sprachunterricht noch früher, d.h. die Kinder müssen sich im Falle des Gymnasiums dann über 10 Jahre mit schulischem Englischlernen herumschlagen, fängt auch der Frust noch früher an.

Das alles gilt natürlich nicht für alle Schüler; es wird immer sprachbegeisterte geben, die aktiv lernen und auch Medien und Situationen suchen, die ihnen das Weiterkommen ermöglichen. Aber die Mehrheit der Schüler baut im Englischunterricht, wie er aktuell in Deutschland gestaltet ist, eher Frust auf. Man bräuchte ganz andere Konzepte und viel bessere Lehrer (native speaker!), um die Begeisterung und Motivation für die Sprache ganz anders zu entfachen und aufrecht zu erhalten.
Da wir hierzulande derzeit eher tausende von Lehrern benötigen werden, um unfassbar vielen Neubürgern erst einmal unsere Sprache zu vermitteln, scheint mir die Diskussion um die theoretisch nötigen Verbesserungen der Qualität des schulischen Englischunterrichts mehr als theoretisch ...
Ich für meinen Teil hoffe, dass ich es privat schaffe, meinen Kindern mithilfe von Büchern, Filmen oder Urlaub in englischsprachigen Ländern die Begeisterung für die Sprache zu vermitteln - von der Schule erwarte ich da eher nicht viel Hilfe.
orangenminze
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von orangenminze »

@ Koschka, ja mag sein, dass die Überlegung 6 Jahre Grundschule für besonders begabte Kinder nicht optimal ist, aber dann muss man sich fragen, ob das Gymnasium, so wie es momentan stattfindet für solche Kinder überhaupt geeignet ist, sondern auch eine Unterforderung darstellt. Dann muss man sagen, gut, wir selektieren früh und hart, das heisst, wie z.B. in der Schweiz mit einem übergreifendem Test, der ganz klar aussagt, Gymnasium ja oder nein. Dann hat man ein Gymnasium, das nur für leistungsstarke Schüler offen ist und nicht noch alle Schüler mitaufnimmt, die das Gymnasium nur mit Mühe und viel Nachhilfeunterricht schaffen würden. Im Gegenzug würde ich mir dann aber wünschen, dass die Systeme durchlässiger sind, sprich, falls jemand aufholt (sprachlich etc.) die Möglichkeit eines Wechsels besteht. Momentan sehe ich das nur bedingt, bzw. diesen Schülern wird es sehr schwer gemacht. Und der Einsatz von Muttersprachlern, die Kinder mit Migrationshintergrund und die Lehrer unterstützen, oder Rentnern, die Kinder unterstützen, die zu Hause keine optimale Unterstützung erfahren, finde ich gut. Es ist nämlich ein Trugschluss zu sagen, nur weil ein Kind nicht einwandfrei Deutsch sprechen kann, hat es die intellektuellen Fähigkeiten nicht, den Stoff des Gymnasiums zu erfassen. Auch für solche Kinder und Kinder aus bildungsfernen Schichten besteht das Recht auf Bildung, die ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten gerecht wird.
Rabaukenmama
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

orangenminze hat geschrieben: Es ist nämlich ein Trugschluss zu sagen, nur weil ein Kind nicht einwandfrei Deutsch sprechen kann, hat es die intellektuellen Fähigkeiten nicht, den Stoff des Gymnasiums zu erfassen. Auch für solche Kinder und Kinder aus bildungsfernen Schichten besteht das Recht auf Bildung, die ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten gerecht wird.
Diese Aussage betrifft auch meinen kleinen Sohn, obwohl bei ihm kein Migrationshintergrund da ist. Aber einwandfrei deutsch sprechen zu können wird extrem hoch (mMn zu hoch) bewertet :( . Wenn sich am System nicht bald was ändert wird ein Gymnasiumbesuch oder eine andere Schule mit Maturaabschluss für ihn - völlig unabhängig von seinen intellektuellen Fähigkeiten - möglicherweise unerreichbar sein.
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Rabaukenmama
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

Koschka hat geschrieben:Hallo,

meine Kinder, die nicht auf den Kopf gefallen sind, hatten in Klasse 3 bis zu den Osterferien 3 Stunden (!) Englisch wöchentlich. Das ist eine absolut vergeudete Zeit. Sie konnen danach nicht mal "Mein Name ist Michel".
Mein Sohn hat im Kindergarten eine native speakerin und kann einfache Unterhaltungen in englischer Sprache führen. Damit meine ich dass er nicht nur seinen Namen sagen kann sondern auch, wer sonst noch zur Familie gehört, wie alt er ist, wo er wohnt und was er gerne macht. Er dürfte aber insgesamt für Sprachen sehr talentiert sein, das sehe ich auch an seinen Kenntnissen in Gebärdensprache, die er sich im vergangenen Jahr nur von mir und seinem Bruder abgeschaut hat.
Koschka hat geschrieben: Ich stimme zu, dass ist nicht die Frage ob es anders geht, sondern wie es anders gehen soll. So wie es aktuell in Bayern ist, ist es gar nichts. Hinzu kommt noch, dass in der 5. wieder von Null angefangen wird und in zwei Wochen alles gelernt wird, was man in der 3.-4. hätte gelernt haben sollen. Sprache muss anwendbar sein. Die muss in Praxis umgesetzt werden - Projekte, bilinguale Fächer, Brieffreundschaften oder Spiele. Das ist doch gar nicht schwer. Man müsste sich nur umschauen - Schweden, Finnen, Dänen haben fast alle nach der Schule perfektes Englisch. Warum? Weil sie gezwungen sind Filme und Bücher in Englisch zu konsumieren.
Da stimme ich uneingeschränkt zu. Remo H. Largo schreibt in seinem Buch "Lernen geht anders" zu dem Thema genau das, was ich auch beobachtet habe: eine Fremdsprache kann von einem Kind nur dann wirklich natürlich erlernt werden, wenn es STÄNDIG (sprich: täglich oder fast täglich) Kontakt mit Personen hat, die diese Sprache sprechen und mit diesen Personen auch wirklich kommuniziert (nur eine Sprach-CD oder einen fremdsprachigen Radiosender hören reicht nicht).
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laurina
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von laurina »

@Koschka,
zur Wahlfreiheit an großen Schulen kann ich dir das traurige Beispiel des Gymnasiums meiner Kinder nennen:
Die Schule ist aufgrund des großen Andrangs mittlerweile sechs- bis siebenzügig und hat rund 1200 Schüler.
Man fängt in der 5. Klasse mit Englisch an und entscheidet sich in der 6. für Latein oder Französisch. Vor der 8. Klasse trifft man dann die Wahl, ob man mit einer dritten Fremdsprache den sprachlichen Zweig weitermacht oder auf den mathematischen Zweig wechselt. Ursprünglich stand als dritte Fremdsprache Französisch oder Italienisch zur Wahl. Somit hätte ich es sinnvoll gefunden, wenn ein sprachlich interessiertes Kind die Sprachenfolge E-L-F wählen kann, zumal Latein eine gute Basis für Französisch und andere romanische Sprachen darstellt und zudem das Latinum Voraussetzung für ein Sprachenstudium ist.
In der Praxis sieht es aber so aus, dass in den ganzen letzten Jahren nach Latein als dritte Fremdsprache ausschließlich Italienisch gewählt wurde, weil es leichter ist. Auf die Nachfrage mehrerer Eltern erklärte der Direktor, dass man selbst für den Fall, dass ein Jahrgang eine Französisch-Klasse zusammentrommeln könnte, Französisch als dritte FS nicht mehr anbieten würde, weil dann eventuelle Sitzenbleiber keine aufnehmende Klasse mit ihrer Sprachenfolge vorfinden würden.
Fazit: An diesem Gymnasium kann man nur entweder Latein oder Französisch lernen, weil niemand nach dem Sinn von umfassender Bildung fragt, sondern stets nur der leichteste Weg gesucht wird. Die Folge E-F-It geht grundsätzlich nicht.
Das fing übrigens schon in der Grundschule an, als die Eltern in der Klasse meiner Tochter ausnahmslos (!)begeistert waren, als die Klasse an einem Schulversuch teilnehmen sollte, in dessen Rahmen keine Schreibschrift mehr unterrichtet wurde, weil die vielen Kindern angeblich so schwer fällt. Keiner außer uns fand, dass eine Schreibschrift lernenswert ist und der Verzicht darauf ein Rückschritt.
Dann setzte es sich am Gymnasium fort, wo tolle Arbeitsgemeinschaften angeboten werden (über viel Sport, Schach, Theater, Orchester, Chor, Fotografie, Astronomie, Zirkus, IT, Dritte-Welt, Umweltschutz ...), die von der überwiegenden Zahl der Schüler nach den Kriterien gewählt werden, wo man mit möglichst wenig Aufwand möglichst schnell die bis zur 10. Jahrgangsstufe erforderlichen fünf Pflichtstunden absolvieren kann.
Auch die Sprachenwahl in der 6. Klasse (Latein oder Französisch) richtet sich weitgehend danach, "was leichter ist". Da wird dann Rechtschreibung gegen Grammatikformen abgewogen und Lehrer raten zum einen oder zum anderen.
Es gibt nur dieses Prinzip "wie kommt mein Kind mit möglichst wenig Aufwand zu den möglichst besten Noten". Sollte man in Fächern wie Geschichte oder Biologie Neigungsgruppen für Interessierte anbieten, würden alle Kinder das nehmen, was mit weniger lernen und mehr "Experimenten" verbunden wäre.
Es geht nicht mehr wirklich um interessensgeleitete Bildung und Wissensvermittlung oder um das Stillen von Neugier, sondern ausschließlich darum, wie man am einfachsten zu einem guten Abschluss kommt.
Wenn mein Sohn in der Klasse irgendetwas von seinem umfassenden Wissen in Biologie oder Geschichte preisgibt, finden das zwar die Lehrer toll, die Mitschüler veräppeln ihn deswegen gnadenlos.
So läuft das zumindest an unserem Gymnasium - welches eigentlich einen sehr guten Ruf hat, aber hinter den Kulissen schaut es ja oft anders aus.
Momo
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von Momo »

Hallo Ihr Lieben!
Ich freue mich über die spannende Diskussion! Ich bin gerade sehr in Aktion, komme hoffentlich bald wieder dazu, mich auch mehr zu beteiligen ;) Im Moment knie ich mich unter Anderem sehr in das Schulthema rein, mittlerweile kenne ich gefühlt alle interessanten Schulen in Berlin- neulich sagte ein Freund zu mir, ich kann wohl bald andere Eltern als Coach bei der Schulwahl unterstützen :D

Bald wieder mehr und liebe Grüße
von Momo
"Unser Leben ist das, wozu unser Denken es macht." Mark Aurel (121-180)
laurina
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von laurina »

Möglicherweise sind die Lehrpläne am G8 nicht optimal. Allerdings muss ich sagen, nachdem ich das Natur & Technik-Buch und das Geschichtsbuch meines Sohnes in der 6. Klasse gesehen habe, denke ich, dass die Inhalte und deren Aufbereitung in dem Buch toll sind. Da gibt es nichts, was ich für überflüssig halte. Allerdings wird sich in den späteren Klassen zeigen, welche Themen zu oft wiederholt oder zu detailliert durchgekaut werden (Stichwort Nationalsozialismus, das konnte schon ich damals nicht mehr hören ...), und was man sich vielleicht zusätzlich wünschen würde (ich als Neusprachlerin bin bis zum Abitur gekommen, ohne von Stochastik, Relativitätstheorie oder Quantenphysik jemals etwas gehört zu haben, obwohl es mich durchaus interessiert - das fand ich nicht richtig und habe ich mir einiges dazu später angelesen.)
Das Hauptproblem ist, dass viel zu viele Kinder aufs Gymnasium gehen, die dort absolut nicht hingehören. Aus den vierten Klassen meiner Kinder ging jeweils die Hälfte aufs Gymnasium. Bis zur achten Klasse landen unzählige dann auf der völlig überfüllten Realschule. In der Klasse meines Sohnes sind sieben (!) Legastheniker - da stehen dann ständig die Eltern auf den Barrikaden, weil irgendwelche Fehler gewertet wurden, die unter den Nachteilsausgleich fallen bzw. weil die Kinder aus organisatorischen Gründen den ihnen zustehenden Zeitbonus nicht voll ausschöpfen konnten. Andere Eltern kämpfen für einen Nachteilsausgleich wegen Dyskalkulie. Ein befreundeter Lehrer meinte neulich zynisch "Hoffentlich stellt sich nicht irgendwann raus, dass Intelligenz definitiv erblich ist, sonst bekommen die Schüler dafür auch noch einen Nachteilsausgleich."
Mein Sohn hat in der fünften Klasse durchschnittlich eine halbe Stunde für die täglichen Hausaufgaben gebraucht und außer in Englisch für keine Prüfung groß lernen müssen, trotzdem hat er hauptsächlich Einsen und Zweien geschafft. Jetzt in der sechsten muss er für Latein schon ein wenig mehr tun (was ihm nicht gefällt, weil er es nicht gewohnt ist :roll: ); an Nachmittagsunterricht hat er zwei Stunden am Montag; alles andere (Instrument, Sport) ist freiwillig. Er hat genug Freizeit, und ich finde den schulischen Druck absolut angemessen für ein Gymnasium.
Andere Eltern regen sich auf, dass die Schule angeblich so "gnadenlos aussiebt" - ich bin der Meinung, dass es toll ist, wenn ein Gymnasium durch Aufnahme aller angemeldeten Kinder jedem eine Chance gibt, aber wer es nicht schafft, muss eben gehen, ansonsten würde das Niveau noch weiter sinken. Sehr viele Kinder haben eine katastrophale Rechtschreibung - dennoch werden Deutschlehrer, die auf Rechtschreibung und äußere Form Wert legen, als "zu streng" kritisiert.
Was ich an der Schule unmöglich finde, ist die Ausgrenzung und Anfeindung von guten, interessierten Schülern durch andere, die leistungsmäßig schlecht dastehen. Was derzeit in der Klasse gegen meinen Sohn läuft, ist regelrechte Hetze, und die Lehrer stehen da und tun nichts. Oder sie raten mir, ihn in einem ihm verhassten Mannschaftssport zu drillen, damit er damit punkten kann (siehe anderer Thread von mir). Ich habe ihn gestern zur Vertrauenslehrerin geschickt, nachdem er zum wiederholten Mal heulend nach Hause kam. Wer in die Schule geht, um etwas zu lernen, ist bei den anderen Kindern unten durch, und das finde ich für ein Gymnasium mehr als beschämend ...
laurina
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von laurina »

@Koschka,
eine Sache habe ich noch vergessen. Ich denke, das Gymnasium hat ursprünglich den Anspruch, eine umfassende Bildung mit dem Ziel einer allgemeinen Hochschulreife zu vermitteln. Da sind auf jeden Fall Bildungsinhalte dabei, die ich im alltäglichen Leben nicht brauche und möglicherweise auch wieder vergesse. Allerdings ist es, wie ich finde, ein Unterschied, ob man noch nie von etwas gehört hat, oder ob man weiß, dass man das einmal detailliert diskutiert hat und nur die Fakten nicht mehr alle parat hat. Selbstverständlich weiß ich nicht mehr, welcher Habsburger Herrscher wann regiert hat oder wie der Zitronenzyklus funktioniert, aber sollte man das deshalb gar nicht lernen?
Mein Vater ist ein passionierter Hobby-Botaniker und einer der besten Kenner europäischer Pflanzen- und Pilzarten, und er hat schon vor Jahren festgestellt, dass die heutigen Biologie-Studenten zwar die biochemischen Abläufe in irgendwelchen Pflanzen genau kennen, aber am Wegrand die einfachsten Blumen nicht benennen können. Und erschreckend viele Menschen in meinem Umfeld kennen keinerlei Singvögel mehr oder bezeichnen Bienen als Wespen.
Eine mehr auf "reale" Fertigkeiten bezogene Bildung vermittelt die Realschule, daher haben dort auch Fächer wie Zehn-Finger-Tippen, Hauswirtschaft etc. einen Platz und am Gymnasium traditionell nicht. Das Zehn-Finger-Tippen muss sich ein Gymnasiast quasi selbst beibringen. Bei uns soll es demnächst einen Wahlkurs dazu geben, den ich meinen Kindern auch angedeihen lassen möchte, aber der Grundanspruch des Gymnasiums ist ursprünglich ein anderer.
Ich finde, man muss auch Wissen um des Wissens willen in der Schule vermitteln, und nicht nur in Bezug darauf, ob die Kenntnisse später für die Wirtschaft brauchbar sind oder nicht.
Unsere ganze Politik krankt daran, dass die führenden Personen über keine umfassende Bildung mehr verfügen, um Zusammenhänge zu erkennen und mit Weitblick zu handeln. Man lernt nichts aus der Geschichte, man vollzieht "Energiewenden", ohne wirklich die ökologischen Zusammenhänge zu sehen, man verkennt soziologische Entwicklungen ...

Was noch fragen wollte: Inwiefern unterrichtest du denn deine Kinder selbst?
Maca
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Registriert: Do 21. Mai 2015, 16:30

Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von Maca »

@ Laurina,
als Mutter einer von Legasthenie betroffenen Tochter, kann ich nur sagen,das Unvermögen Wortbilder abzuspeichern,um sie bei Bedarf aus dem Gedächtnis abzugleichen,hat mit einem allgemeinen Intelligenzdefizit wenig zu tun.
Die echte Legasthenie ist angeboren und sehr viel seltener als eine erworbene Lese- Rechtschreibschwäche,die vielfältige Gründe haben kann,wie z.B. wenig häuslicher Zugang zu Büchern,fehlendes Vorlesen seitens der Eltern ,unpassende Didaktik in der Grundschule,Konzentrationsprobleme,visuelle Wahrnehmungsstörungen etc.

In beiden Fällen finde ich deinen indirekten Einwand ,solche Kinder hätten auf dem Gymnasium eigentlich nichts zu suchen,etwas unfair.
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