
Dass es noch mal eine Steigerung davon gibt habe ich durch meinen jüngeren Sohn, der gehörlos und autistisch ist, erlebt. Dort, wo ich mir kleine Erfolge beim älteren Bruder noch stolz auf meine Fahnen geheftet habe (z.B. kaum Trotzanfälle als Kleinkind), hat mich mein jüngerer Sohn knallhart auf den Boden der Realität zurückgeholt. Fazit: es GIBT ganz normale, "neurotypische" Kinder, meine beiden gehören aber nicht dazu. Das liegt nicht daran, dass ich zu geduldig oder zu ungeduldig, zu streng oder zu nachgiebig, zu direkt oder zu subtil bin. Es liegt an den Kindern. Punkt. Mein Part ist, mich bestmöglich ihren Bedürfnissen anzupassen und dabei meine eigenen nicht zu vergessen. Leben und leben lassen. Was andere davon halten interessiert mich nicht - aber das war und ist MEIN Lernprozess

Vieles von dem, was du von deiner Tochter beschreibst, habe ich auch so erlebt. Ich gebe ehrlich zu, zu den Eltern zu gehören, die ihre Kinder GERNE mal wo abgeben. Natürlich nicht "irgendwo" sondern schon bei einer Person oder Institution, die mein Vertrauen genießt. Da habe ich aber den Luxus, Mutter von zwei Kindern zu sein, die nie ein Problem mit Fremdbetreuung hatten. Das ist nicht etwa mein Verdienst, sondern es ist einfach nur Glück. Darf ich ja auch mal haben

Von der Warte gesehen: wenn sich deine Tochter bei der Tagesmutter wohl fühlt und du mehr Auszeit brauchst: nimm es als etwas an, was super zusammen passt, und genieß die Zeit

Leider kann ich nicht viel beruhigen im Sinne von "es wird garantiert besser". Ja, einige Dinge werden mit zunehmenden Alter tatsächlich leichter, andere wieder nicht und wieder andere ergeben sich überhaupt erst dann, wenn die Kinder älter werden. Klingt vielleicht negativ, ist aber nicht so gemeint. Jeder Tag hat 24 Stunden, nicht mehr. Ich lebe mit meinen Kindern von einem Tag auf den nächsten.
Pläne mache ich - wenn überhaupt - für die nächsten Wochen und Monate. So Gedankenspielereien, welche Probleme meine Kinder VIELLEICHT in soundsoviel Jahren haben KÖNNTEN, sind kein Kriterium für meine heutigen Entscheidungen.
Im direkten Umgang mit meinen Kindern helfen mir unter anderem die Ratgeber von Remo H. Largo, Thomas Gorden und Jesper Juul - in dieser Reihenfolge

Von Thomas Gordon habe ich nur ein Buch: "Familienkonferenz". Da wird vor allem das sogenannte "aktive Zuhören" genau beschrieben, eine Methode, die mir bei beiden Kindern im Alltag extrem weiter geholfen hat. Selbst mein gehörloser, autistischer Sohn mag diese Form von Feedback. Wenn er wütend gebärdet "Ich mag nicht Zähne putzen" und ich als Feedback "Du bist wütend weil du Zähne putzen musst, aber nicht willst!" gebe (eigentlich nur das, was er eh selbst klargestellt hat) fühlt er sich schon verstanden und kommt ein bißchen "runter". Mit meinem älteren Sohn praktiziere ich das "aktive zuhören" täglich und es hat uns schon in ganz vielen Konflikten weiter geholfen.
Jesper Juul hat viele gute Bücher zu verschiedenen Themen geschrieben. Meine Lieblingstitel davon sind "Dein kompetentes Kind" und "Aggressionen - warum sie für uns und unsere Kinder wichtig sind".
Diese Literatur hat mich in meinem schon vorher vorhandenen Erziehungsgefühl (ich sage bewusst nicht "Konzept" weil es keines war!) bestärkt. Und obwohl ich es auch schon vom Gefühl her gewusst habe, es tut noch mal gut, zu lesen, dass die ganzen Unkenrufer, die es immer besser zu wissen glauben, einfach falsch liegen.
Nicht jedes Kind kann sich allein beschäftigen. Es mag zwar einfacher für die Eltern sein, wenn ein Kind das kann, ist aber nicht zwangsläufig gut für seine Entwicklung. Das ist eine Sache, die bei unseren beiden mit zunehmenden Alter besser geworden ist. Aber wenn ich lese, dass nicht mal 2jährige Kinder die Erwartungshaltung gestellt wird, sich alleine zu beschäftigen, dann läuft was falsch. Ja, natürlich gibt es Kinder in dem Alter, die das schon können. Es gibt aber auch Kinder, die es mit 5 noch nicht können. Es ist wie aufs-Klo-gehen oder ohne Schnuller auskommen, sich-selbst-anziehen oder Fremdbetreuung zulassen. Die Kinder lernen es, aber in IHREM Tempo und an ihre individuelle Entwicklung angepasst. Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.
Sprich: wenn mein Kind mit anzeigt, dass es Freiheit braucht, dann gebe ich ihm so viel Freiheit, wie ICH es zulassen kann, wenn es mir anzeigt, dass es Nähe braucht, gebe ich ihm so viel Nähe, wie MIR noch angenehm ist. Wenn ich merke, dass ich was nicht geben kann, überlege ich, wer es außer mir könnte. Ein alter Spruch lautet "Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen" und da ist was dran. Es ist ein Zeiterscheinung dass durch die heutigen Familienstrukturen oft die ganze Last auf Mama und Papa liegt. Wenn die Eltern es gut bewältigen spricht zwar nichts dagegen, aber ich finde, ein Kind hat Anspruch auf Kontakte zu verschiedenen Personen, Erwachsenen und Kindern. Gerade bei kleinen Kindern, die Zeit brauchen, um zu jemand noch unbekannten Vertrauen zu fassen, muss man das natürlich berücksichtigen. Aber wenn es da Möglichkeiten gibt, andere mit "ins Boot" zu holen, dann sollte man das im Interesse der gesamten Familie tun! Ob etwas dann letztendlich passt oder nicht zeigt sich durch Versuch und Irrtum.
So viel mal von uns. Und herzlich willkommen hier
