ispiriert von einem anderen Thread denke ich, dass dieses Thema einen eigenen Platz hier im Forum verdient

Momo schrieb an anderer Stelle "Loslassen ist sehr schwer, doch das Loslassen kommt nach dem (fest)-Halten! Ich bin der Meinung und mache immer wieder die Beobachtung, dass die Kinder, die in den ersten Jahren zuverlässig und liebevoll unterstützt und "gehalten" worden sind, mit einer großen Anteilnahme und Präsenz der Eltern, auch das Loslassen und Selbstständigwerden gut meistern. Natürlich werden die Kinder dann ihren eigenen Weg finden und gehen, doch die Innere Stärke und Sicherheit für diesen Weg wird schon davor ausgebildet. Meinst Du nicht?"
Grundsätzlich stimme ich dem zu. Aber meine Beobachtung zeigt mir, dass das Bedürfnis nach Nähe und "gehalten-werden" ebenso wie das Bedürfnis nach Eigenständigkeit schon bei sehr kleinen Kinder total unterschiedlich ausgeprägt ist. Meine Buben hatten von klein auf einen natürlichen Drang nach "draußen" und gar nicht so das Bedürfnis dass einer von uns (mein Mann oder ich) immer dabei ist.
Ich erinnere mich da an eine Szene beim "Babytreffen" von Eltern 1-3jähriger Kinder. Eine andere Mutter wollte aufbrechen, ihr Kind wollte aber noch dortbleiben. Nach mehrmaligem rufen, auffordern und einem kleinen Streit zog sich die Mutter die Jacke an und meinte zum Kind "Na gut, dann gehe ich eben allein. Baba!" und winkte zum Abschied - und das Kind kam sofort gelaufen um sich ebenfalls anziehen zu lassen, weil es Angst hatte, die Mama könnte tatsächlich alleine gehen.
Später habe ich ähnliches Verhalten von Eltern noch mehrmals beobachtet und es war meistens dasselbe: wenn ein Kind nicht mit wollte und der Elternteil ankündigte, alleine zu gehen, war das Kind sofort da. Dasselbe hätte ich bei meinen Kindern gar nicht zu versuchen gebraucht - denen war schon mit 2 Jahren ziemlich egal ob Mama oder Papa anwesend waren oder nicht. Und wenn SIE etwas machen bzw. wo bleiben wollten und Papa/Mama nicht, dann sollen Papa oder Mama eben alleine gehen. Kein Problem!
Einmal habe ich es bewusst ausprobiert. Ich war mit meinem damals knapp 2jährigen Großen in ein neues Sportgeschäft gegangen um mir dort mal das Angebot anzusehen. Mein Sohn war begeistert von einem Verkaufsständer mit bunten Sportsocken und von dort nicht wegzubekommen. Es waren mehrere Verkäufer anwesend und keine anderen Kunden. Nachdem mein Sohn nach einigem hin und her nicht mit heimgehen wollte sagte ich zu einem der Verkäufer, ich wolle mal ausprobieren wann er mich vermisst. Ich vereinbarte mit dem Verkäufer, vor dem Geschäft 10 Minuten zu warten und dass er (der Verkäufer) meinen Sohn sofort zu mir bringt, sollte dieser Angst bekommen, weinen oder nach mir suchen. Dann verabschiedete ich mich von meinem Sohn, ging raus und wartete 10 Minuten (außerhalb seines Sichtbereiches). Niemand kam. Als ich wieder reinging spielte er immer noch begeistert mit den Socken und als er mich sah winkte er gleich noch einmal "Baba" um mir zu zeigen, dass meine Anwesenheit nicht benötigt wurde.
Ich will keine Analyse erstellen ob so ein Verhalten Indiz für eine sichere oder eine unsichere Eltern-Kind-Bindung ist. Aber es steht fest, dass weder ich noch mein Mann eines unserer Kinder GEGEN DESSEN WILLEN wo allein gelassen haben - und sei es zum schlafen in einem anderen Zimmer!
Ein weiteres Beispiel für Eigenständigkeit im Kleinkindalter war der Kindergarten. Mein Sohn wollte schon mit nicht mal 2 Jahren unbedingt in den Kindergarten. Wenn wir uns einen Kindergarten angesehen haben durfte er dort immer kurz in der Gruppe bleiben, während mir eine Kindergärtnerin die Räumlichkeiten gezeigt und den Ablauf erklärt hat. Dann gab´s jedes Mal weinen und Gebrüll wenn er wieder raus mußte. Und ganz viele Gesten "Baba!" um mir zu zeigen dass er schon alleine zurechtkommt.
Als er dann mit 2 Jahren und 4 Monaten tatsächlich in den Kindergarten kam war abgemacht, ihn am ersten Tag nur mal für eine Stunde vorbeizubringen und dann wieder abzuholen. Und wieder gab es Tränen und Gebrüll beim abholen. Mein Sohn verstand nicht dass die anderen Kinder noch bleiben durften während er wieder abgeholt wurde und empfand das als furchtbar ungerecht. In den nächsten Eingewöhnungs-Tagen einigte ich mit mit den KindergärterInnen, meinen Sohn jeden Tag ein bißchen früher hinzubringen, aber gemeinsam mit den anderen Kindern um 16h abzuholen. Das klappte ganz gut

Beim Kleinen, der mit einem Jahr und 10 Monaten in den Kindergarten kam, begann die Eingewöhnung mit gerade mal 5 Minuten allen im Kindergarten und wurde innerhalb von 6 Wochen auf ganztags gesteigert. Es gab NIE Probleme - kein weinen, keine Appetitlosigkeit, NICHTS! Und er war aufgrund seines fröhlichen Wesens und reifem Sozialverhaltens vom ersten Tag an bei Kindern und KindergärterInnen gleichermaßen beliebt.
Was ich damit sagen will ist, dass ich es als Aufgabe der Eltern betrachte, den Bedürfnissen des eigenen Kindes entsprechend zu agieren und nicht irgendwelche als "gut fürs Kindeswohl" propagierte Verhaltensmuster durchzuziehen. Bei einem Kind ist mehr "halten" gefragt, beim anderen mehr "loslassen". Das hat nicht wirklich viel damit zu tun ob das Kind als Baby getragen wurde oder im Wagerl lag und wie lange es gestillt wurde. Es ist einfach Teil der Persönlichkeit. "Große Anteilnahme und Präsenz" wie Momo sie beschreibt, ist bei MANCHEN Kindern wichtig, bei anderen ist wichtig, ihnen die Autonomie zu gewähren, die sie einfordern. Wichtig ist dabei nur, bereit zu sein, dem Kind wieder mehr Anteilnahme und Präsenz zu geben, wenn es VON IHM offensichtlich benötigt oder verlangt wird.
Mein Großer hatte übrigens mit ca. 4 Jahren eine Phase, wo er plötzlich wieder sehr anhänglich war - plötzlich wollte er z.B. am Spielplatz immer Blickkontakt (während ihm davor völlig egal war ob er mich sieht oder nicht). Da habe ich dann seinem Wunsch entsprochen weil ER offensichtlich erst in dem Alter überhaupt in Erwägung gezogen hat dass er die Mama auch "verlieren" könnte. Davor war ohnehin eine Selbstverständlichkeit, daß Mama da ist, wenn man sie braucht. Und mein Sohn brauchte mich bei weitem nicht "immer".