Re: Du bist doch auch hochbegabt oder nicht?!
Verfasst: So 29. Jun 2014, 13:54
manchmal sehen Menschen das Thema Hochbegabung aus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln, damit muss man eben klar kommen
Austausch zum Thema Hochbegabte Kinder
http://www.forum.klugekinder.at/
Rabaukenmama hat geschrieben:Hallo Meine3,
bei mir wurde die Hochbegabung beim Einschulungstest erstmals festgestellt. Dabei durfte ich bei dem nur "pro forma" mitmachen, weil mein Sozialverhalten im Kindergarten so auffällig war, dass ich eigentlich noch ein Jahr dort bleiben sollte. Aber da ich nun mal den besten Einschulungstest von 90 Kindern hingelegt hatte, "durfte" ich regulär mit 6 Jahren in die Schule.
In der Grundschule habe ich mir (wie mein älterer Sohn heute) sehr leicht getan und meine 1er immer komplett ohne lernen geschrieben. Trotzdem hatte ich wegen mangelnder Mitarbeit (HÜ nicht gemacht) in Deutsch und Mathe eine 2 im Zeugnis der 4. Klasse (und eine mehr als verdiente in turnen ). Weil mein Sozialverhalten noch immer auffällig war (habe z.B. andere Kinder gebissen) waren meine Eltern nicht sicher ob Gymnasium oder Hauptschule. Also sollte das die Schulpsychologin feststellen, bei der ich in der 4. Klasse einmal pro Woche war. Naja, recht hilfreich war sie nicht, denn die Erkenntnis, dass ich intellektuell imstande bin, das Gymnasium zu schaffen, aber im Sozialverhalten deutlich hintennach, war eigentlich nicht neu, sondern quasi die "Aufgabenstellung" für sie. Wie dem auch sei, ich kam in die Hauptschule, wo ich weiter nichts gelernt habe, halt meine 2er und 3er geschrieben habe, und letztendlich so gemobbt wurde, dass ich im 3. HS-Jahr Schule wechseln musste (in eine andere Hauptschule).
Danach, in der höheren Schule, hätte ich wirklich LERNEN müssen, empfand das aber als Zumutung und habe daher die Schule abgebrochen und eine Lehre gemacht. Mein IQ war eigentlich nie Thema, nur meine Verhaltensauffälligkeiten.
Ich wurde aber immer wieder mal angesprochen, ob ich hochbegabt bin, schon als Kind. Tja, da meine Eltern mir nichts vom Einschulungstestergebnis erzählt hatte, wusste ich es selbst nicht. Mit 15 habe ich mir dann ein Buch gekauft "Teste deine Intelligenz" und daraus den Selbsttest gemacht. Und das Ergebnis war klar im HB-Bereich (wenngleich schlechter als beim Einschulungstest und später beim Mensa-Test). Dann kam die Zeit, wo ich mich für das "verkannte Genie" gehalten habe, weil ich den anderen ja so haushoch überlegen war. Natürlich war diese Einstellung meiner eigenen Unsicherheit und meinem geringen Selbstwertgefühl geschuldet. Ich war nie schön gewesen (dicke Brille, Zahnspange wegen Vorbiss, orthopädische Einlagen wegen Watschelgang, für mein Alter klein und jünger wirkend,...) und auch nie durch brav-sein positiv aufgefallen (eher das Gegenteil ), also glaubte ich, mit dem hohen IQ jetzt etwas gefunden zu haben, wo ich wirklich "gut" war und wollte dafür auch Anerkennung. So, wie sie die schönen Kinder (die ja auch nichts dafür konnten) für ihr Aussehen bekamen und die braven Kinder für ihr Benehmen. Tja, da war aber nichts, mit einem hohen IQ angeben ist nicht nur gesellschaftlich ein NO-GO, man steht auch schnell als Lügner oder Hochstapler da.
Als ich dann, Jahre später, mit Mitte 30 den Mensa-Test gemacht habe, hat sich meine Mutter übrigens meinen IQ-Wert danach aufgeschrieben (um ihn nicht zu vergessen), damit sie damit vor ihren Kaffeehaus-Freundinnen prahlen konnte . Und es gibt immer wieder noch Menschen, z.B. Arbeitskollegen, die mich ansprechen, ob ich nicht HB bin - also so ganz "verheimlichen" funktioniert nicht. Ich bin aber auch nicht mehr gewillt, mich absichtlich zu verbiegen, um vorzutäuschen, NICHT hochbegabt zu sein. Mittlerweile habe ich längst erkannt, dass diejenigen, die mich mögen und schätzen, das unabhängig von meinem IQ tun, und diejenigen, die mich ablehnen ebenso - ich brauche also nicht auf "Norm" zu spielen. Wobei ich aber - ehrlich gesagt - schon probiere, vor allem bei Familientreffen möglichst wenig Fremdwörter zu verwenden, sonst ist wieder die große Diskussion, WAS ich jetzt eigentlich gesagt habe. Dabei hilft mir, im Familienkreis im breitesten Dialekt zu sprechen, denn für die meisten für mich normalen Fremdwörter, die dann eventuell nicht verstanden werden, gibt es keine Dialektform (z.B. explizit, Resilienz, Suizid,...) und ich komme mit ein bisschen nachdenken schnell auf die Entsprechungen in deutsch .
Was du von deiner Familie beschreibst, stimmt mich einfach nur traurig. Ich finde es einfach gemein, Kindern zu vermitteln, dass sie "nicht gescheit" sind, unabhängig vom IQ! Dass du dich beruflich nie auf etwas festlegen konntest liegt vermutlich daran, dass du (wie viele HBs) breit gefächerte Interessen hast. Und wir werden alle erst die, die wir sind, durch unsere Erfahrungen.
Bei mir war der berufliche Weg eigentlich ein Zufall. Mit 14 Jahren habe ich einen "Berufseignungstest" gemacht, mit getesteten Begabungen und abgefragten Interessen. Damals habe ich bei "Technik" 0 Interesse angegeben (auf einer Skala von 0-9). Im Test lag ich aber bei allen technischen Fragen zwischen 7 und 9. Tja, und das Leben hat mich dann über Umwege in den technischen Verkauf gestellt - als einzige Frau unter männlichen Kollegen und 95% männlichen Kunden . Das ist aber nichts, was ich mir bewusst ausgesucht habe, es hat sich einfach so ergeben.
Zum Thema "melancholisch sein wegen verpasster Chancen" - da sehe ich, wie sich die Ereignisse wiederholen. Ich habe jetzt einen vermutlich (nicht getesteten) hochbegabten Drittklässler mit null Ehrgeiz, der lieber in die Hauptschule will als aufs Gymnasium. Ich weiß, dass er die Tragweite so einer Entscheidung nicht annähernd begreift. Selbst habe ich schon oft nachgedacht, was aus mir geworden wäre, hätte ich das Gymnasium zumindest VERSUCHEN dürfen. Ich mache meinen Eltern keine Vorwürfe für ihre damalige Entscheidung, aber sie bewegt mich eben JETZT, wo ich für meinen Sohn vor derselben Entscheidung stehe.
Tatsächlich habe ich keine Chancen verpasst. Ich habe mit Mitte 30 die Studienberechtigungsprüfung gemacht und dann begonnen, neben Beruf und Kind (damals gerade 1 Jahr alt) mein Traumfach (Molekularbiologie) zu studieren. Als mein zweiter Sohn dann schwer behindert zur Welt kam, habe ich abgebrochen. Das Leben wollte wohl nicht, dass ich da weiter mache. Es kommt immer so viel dazwischen, und immer anders als man denkt. Aber meistens passt es dann schon - zumindest bei mir!