alibaba hat geschrieben:Ach Rabaukenmama, ich wünsche euch, das alles so laufen wird, wie ihr es euch erwünscht bzw. das eure Hoffnungen und Wünsche nicht in der Vor-Ort-Realität untergehen.
Ich sehe hier, leider, jedes Kind ausserhalb der Norm, untergehen oder schwerer schwimmen. Es fragt sich für mich halt, wie lange hält man das denn durch?
Die Vor-Ort Realität sieht für jeden anders aus und hängt unter anderem auch davon ab wie weit man selbst bereit ist, Ungerechtigkeiten und Bevormundung hinzunehmen.
Klar kann sein dass ich das Naiverl bin dessen Kinder ja noch gar nicht in der Schule bin und in einigen Jahren jammere ich unisono mit anderen über ein System das "man" (bzw."frau"

) nicht ändern kann.
Abgesehend davon frage ich, wie man ein "Kind innerhalb der Norm" definiert. Das funktionieren aller Sinne und das fehlen von chronischen Erkrankungen macht jedenfalls noch keine Normtauglichkeit aus. Hab ja in der Arbeit ständig mit Normen zu tun (ÖNORM, DIN, ISO,...) und daher komme ich nur sehr schlecht damit zurecht dasselbe Wort als Durchschnitts-Definition für Kindern zu verwenden - auch wenn mir natürlich klar ist, was du meinst.
alibaba hat geschrieben:
Mein Kindklein ist super exakt. Erst einmal ist daran nichts Schlimmes, jedoch bedeutet das ich bin langsamer als der Rest. Das wiederrum bedeutet, ich bekomme neben meinen HA auch noch den Rest auf den ich in Schule nicht geschafft habe. Das bedeutet dann, ich sitze zu Hause und sitze zu Hause und stöhne schon, weil ich um den Berg weiß, bevor ich überhaupt zu den HA komme. Das bedeutet Kampf, Kampf zwischen uns Eltern und dem Kind.
Das Kind mit schwerer ADHS sitzt hier ständig vor der Tür und hat nur rote Punkte.
Das kind mit schwerem ADS trägt täglich ein zusätzliches Muss-ich-noch-schaffen-Bündel mit nachhause.
Es werden hier drei Negativstrichlisten geführt - für alle Kinder - selbst für runterfallende Stifte gibt es rote Punkte.
Wie viele Ängste muss man haben um als Eltern gegen das eigene Kind zu kämpfen um die Anforderungen einer Schule zu erfüllen ohne mit diesen Anforderungen überhaupt einverstanden zu sein? Wie groß müssen die (Zukunfts-)Ängste sein das was du hier beschreibst als das "kleinere Übel" gegenüber der (möglichen) späteren "schlechteren Chancen" zu sehen?
alibaba hat geschrieben:
Stärken, Schwächen, jeder wird da aufgefangen wo er steht, Individualität, Inklusion - all das ist eine schöne tolle theoretische Welt. Die ist auf dem Papier toll, als gesprochenes Wort schon etwas differenzierter, vor Ort trifft es das schöne Papier und die schönen Worte dann nicht mehr.
Ich bin immer noch so naiv, zu glauben, dass es auch damit zusammenhängt wie schnell und bereitwillig man etwas hinnimmt.
Es ist eine Einstellung des kuschens und wegschauens, der ich einfach nichts abgewinnen kann. Wenn ein ausländisches Mädchen in einer vollen U-Bahn offen mit Nazi-Parolen beschimpft wird bin ich die einzige, die sich dem Agressor entgegenstellt. Wenn ein Kind am Spielplatz geschlagen wird bin ich die einzige, die die Eltern darauf anspricht. Alle anderen schauen weg und tun so als würde sie das alles nichts angehen! In Wirklichkeit sind sie nur elendig feig ohne zu wissen wovor sie sich eigentlich fürchten.
In der Schule ist das noch krasser weil es ja um die eigenen Kinder geht. Da nehmen Eltern lieber unglückliche, leidende Kinder in Kauf als mal geschlossen aufzustehen und zu sagen "SO NICHT! Wir suchen uns eine andere Schule!". Man könnte auch handlen nach dem Motto "Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin". Aber nein, wenn man das eigene Kind aus so einer Schule nimmt hat es ja so einen massiven Wettbewerbsnachteil und alle Mitschüler, diese gefährlichen Rivalen, haben die Nase vorn.
alibaba hat geschrieben:
Ihr habt nur meine guten Wünsche - ich würde es jedem kind mit Handycap wünschen das Inklusion gut klappt - leider sind meine Erfahrungen, schon auf ganz banaler Ebene, absolut negativ.
VLG
Wie schon gesagt - Inklusion bedeutet für mich nicht zwangsläufig mit gesunden Kindern in einer gemeinsamen Klasse. Und viele Eltern von "Inklusionskindern" sind sich ihrer eigenen Macht und Fähigkeiten ja nicht annähernd bewusst. Eine Mutter hat neulich beim ELKI-Treffen der Hörfrühförderung erzählt ihr 4jähriger Sohn sei seiner Hörgeräte wegen vom Kindergarten abgelehnt worden. Er solle doch in einen Sonder-Kindergarten gehen der "seiner Behinderung gerecht wird". Dabei ist das der Kindergarten ganz in der Nähe wo alle Nachbars- und Freundeskinder auch hingehen.
Für die Mutter war klar dass sie sich nun einen anderen Kindergarten suchen muss. Aber muss sie wirklich? Oder kann sie dafür kämpfen dass ihr Kind (normale Intelligenz, normale Sprachentwicklung trotz Hörgeräten) doch in diesen Kindergarten darf. Wie kann die Kindergartenleitung die Ablehnung des Buben begründen wenn das Magistrat eine Stellungnahme dazu verlangt?
Viele scheinbar unumstößliche Aussagen und Entscheidungen sind einfach auf dem Mist von Einzelpersonen gewachsen die mit Inklusion nichts anfangen können bzw. wollen. Längst nicht alles davon ist unanfechtbar. Sogar Gesetze können im Zweifelsfall "für den Betroffenen" ausgelegt werden.
Im gerade beschriebenen Fall würde die Mutter natürlich das Risiko eingehen dass ihr Kind es "zu spüren bekommt" dass sie für seine Aufnahme in den Kindergarten gekämpft hat. Und sie müsste wahrscheinlich auch mit einigen, wenigen Eltern leben die der kuriosen Ansicht sind ihr eigenes Kind würde durch das zusammensein mit einem schwerhörigen Kind in seiner Entwicklung behindert. Aber ist es der Erfolg für das eigene Kind (weiter mit seinen Freunden zusammen zu sein, nicht schon mit 4 Jahren das Gefühl von "du bist anders" erfahren) nicht wert auch ein paar (harmlose) Risken einzugehen?
Helene Jarmer, eine gehörlose Politikerin im österr. Parlament hat eine Autobiografie mit dem Titel "Schreien nützt nichts" geschrieben. Dort beschreibt sie ihre eigene Schullaufbahn - als gehörloses Kind ebenfalls gehörloser Eltern. Es war absolut nicht einfach, überall wurden ihr Steine in den Weg gelegt und sind ihr Ungerechtigkeiten widerfahren - sei es extreme Bevormundung oder "der machen wir es besonderns schwer"-Situationen.
Eigentlich hätte sie (obwohl hochbegabt) gar nicht Lehrerin werden können weil laut österreichischem Gesetzt Behinderte das nicht dürfen

. Aber sie hat von einer Ausnahme im Fall der Tochter einer hochrangigen Politiker erfahren und mit diesem Wissen ihre Zulassung zum Lehramtsstudium quasi "erpresst". Tatsächlich hat sie sich nur nicht gescheut die Mittel zu ihrem eigenen Nutzen zu verwenden die andere verwendet haben um ihr Gleichberechtigung zu verwehren. Und den Mut, das zu tun, hat sie von ihren Eltern mitbekommen, die sich ihrerseits nicht gescheut haben, wirklich ALLES zu tun um ihrer Tochter die bestmögliche Ausbildung zu verschaffen.
Das Buch hat mir unter anderem die Augen geöffnet wie häufig ich bis dahin selbst vor "Obrigkeiten" gekuscht haben und einfach in den Raum geworfene Aussagen für bare Münze genommen habe ohne zu hinterfragen wie gut solche Argumente wirklich halten wenn es hart auf hart geht.
Der liebe Gott schenkt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht (Johann Wolfgang von Goethe)