Diskussionsthema Schule

Probleme und Lösungen für den Schulalltag
Rabaukenmama
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

laurina hat geschrieben: Mein Sohn hat in der fünften Klasse durchschnittlich eine halbe Stunde für die täglichen Hausaufgaben gebraucht und außer in Englisch für keine Prüfung groß lernen müssen, trotzdem hat er hauptsächlich Einsen und Zweien geschafft. Jetzt in der sechsten muss er für Latein schon ein wenig mehr tun (was ihm nicht gefällt, weil er es nicht gewohnt ist :roll: ); an Nachmittagsunterricht hat er zwei Stunden am Montag; alles andere (Instrument, Sport) ist freiwillig. Er hat genug Freizeit, und ich finde den schulischen Druck absolut angemessen für ein Gymnasium.
Andere Eltern regen sich auf, dass die Schule angeblich so "gnadenlos aussiebt" - ich bin der Meinung, dass es toll ist, wenn ein Gymnasium durch Aufnahme aller angemeldeten Kinder jedem eine Chance gibt, aber wer es nicht schafft, muss eben gehen, ansonsten würde das Niveau noch weiter sinken. Sehr viele Kinder haben eine katastrophale Rechtschreibung - dennoch werden Deutschlehrer, die auf Rechtschreibung und äußere Form Wert legen, als "zu streng" kritisiert.
Womit hängt das von Dir beschriebene "Niveau" einer Schule zusammen? Und wie kommst du zu dem Schluss, dass es "noch weiter sinken" würde, wenn diejenigen Kinder, die dann auf die Realschule wechseln, bleiben würden?

Es kommt mMN sehr viel darauf an, ob und vor allem in welchem Ausmaß die Lehrer bereit sind, INNERHALB DER KLASSEN zu differenzieren. Viel Unterrichtsstoff in flottem Tempo, davon auch viel, von dem man bereits weiß, dass die Schüler es bald wieder vergessen haben, kommt MANCHEN Schülern zugute - deiner Beschreibung nach ist Dein Sohn einer davon. Dass DU daher nicht zu denen gehörst, die sich über das "gnadenlose aussieben" beschweren, ist kein Wunder - Deinen Sohn betrifft es ja nicht.

Ich vertrete die (vielleicht ketzerische) Ansicht, dass das Niveau einer Schule nicht unter den "schlechteren" Schülern leidet, sondern unter unfähigen Lehrern, die nicht imstande oder bereit sind, zu differenzieren.

Denn einem Schüler, der ein langsameres Lerntempo hat als der Durchschnitt, der aber ansonsten genauso leistungsfähig ist, werden durch das sture durchboxen eines gewissen Lerntempos Chancen genommen, die ein Schüler, dem das Tempo zufällig passt, erhalten bleiben. Sitzenbleiben macht die Sache nicht besser weil ja gerade bei dem Schulstoff, den man lernt, um ihn gleich wieder zu vergessen, der Aufwand so groß ist wie vorher und sich am Unterrichtstempo ein Schuljahr später auch nichts ändert.
laurina hat geschrieben: Was ich an der Schule unmöglich finde, ist die Ausgrenzung und Anfeindung von guten, interessierten Schülern durch andere, die leistungsmäßig schlecht dastehen. Was derzeit in der Klasse gegen meinen Sohn läuft, ist regelrechte Hetze, und die Lehrer stehen da und tun nichts. Oder sie raten mir, ihn in einem ihm verhassten Mannschaftssport zu drillen, damit er damit punkten kann (siehe anderer Thread von mir). Ich habe ihn gestern zur Vertrauenslehrerin geschickt, nachdem er zum wiederholten Mal heulend nach Hause kam. Wer in die Schule geht, um etwas zu lernen, ist bei den anderen Kindern unten durch, und das finde ich für ein Gymnasium mehr als beschämend ...
Genau bei dem von Dir hier beschriebenen Problem würden mit klassenübergreifende Interessensgruppen wesentlich mehr zusagen als das momentan meistens praktizierte System. Was sprich dagegen, wenn in einer Gruppe z.B. Mathematik, Chemie oder auch französisch auf höherem Niveau durchgenommen wird als in einer anderen? Was spricht dagegen, dass Kinder in dem Tempo lernen DÜRFEN, das ihnen am ehesten entspricht? Inwiefern würde es das allgemeine Niveau senken, wenn z.B. einem Kind mit Dyskalkolie in Mathe die komplizierteren Rechnungsarten erspart bleiben und man sich statt dessen darauf beschränkt, dass die Basics bestmöglich erlernt (und auch behalten) werden, während genau dieses Kind z.B. die Englischgruppe mit dem höchsten Lerntempo- und Niveau besucht?

In so einer Schule wäre auch Ausgrenzung auf Grund von Leistung (hervorgerufen oft durch Neid) sicher viel seltener, weil man von der korrekten Annahme ausgeht, dass nicht jeder in allen Gebieten (gleich) gut sein. Und keiner müsste befürchten, auf Grund von manglender Leistung in einem oder zwei Gegenständen gleich auf eine andere Schule geschickt zu werden, wo er/sie dann seine Stärken gar nicht mehr ausbauen kann weil der Lehrplan dort das nicht vorsieht. Kein Druck mehr auf "schwächere" Schüler von ehrgeizigen Eltern, die eifersüchtig auf diejenigen schauen, welche die Anforderungen besser erfüllen, keine Null-Bock-Einstellung mehr! Keine Notwendigkeit für interessierte Schüler, sich entweder nach unten anzupassen oder ein Außenseiter-Dasein mit Streber-Ruf führen zu müssen. Und das ganz ohne irgenwelche Schüler "aussieben" zu müssen...
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Rabaukenmama
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

laurina hat geschrieben: In der Klasse meines Sohnes sind sieben (!) Legastheniker - da stehen dann ständig die Eltern auf den Barrikaden, weil irgendwelche Fehler gewertet wurden, die unter den Nachteilsausgleich fallen bzw. weil die Kinder aus organisatorischen Gründen den ihnen zustehenden Zeitbonus nicht voll ausschöpfen konnten. Andere Eltern kämpfen für einen Nachteilsausgleich wegen Dyskalkulie. Ein befreundeter Lehrer meinte neulich zynisch "Hoffentlich stellt sich nicht irgendwann raus, dass Intelligenz definitiv erblich ist, sonst bekommen die Schüler dafür auch noch einen Nachteilsausgleich."
Und wie stehst Du dazu dass jemand mit solchen Ansichten Kinder unterrichtet? Glaubst Du, dieser Mensch ist fähig und vor allem WILLIG zu differenzieren?

ENDLICH gibt es so was wie einen Nachteilsausgleich (auch wenn mir das Wort gar nicht gefällt), aber offensichtlich gibt es dennoch Lehrer die meinen, nur diejenigen Schüler hätten ein Recht auf weiterkommen, die in allen Fächern mindestens durchschnittliche Leistungen bringen. Und worauf läuft dann hinaus wenn ein Kind eine Lese- oder Rechen- oder sonstige Schwäche hat? Dass dieses Kind auf Teufel-komm-raus eine Sache lernen MUSS in der es NIE gut sein wird und dafür so viel Zeit benötigt (vom finanziellen Aufwand für Nachhilfe ganz zu schweigen), dass es gar keine MÖGLICHKEIT hat, die Bereiche zu vertiefen, in denen es wirklich gut ist.

Wenn ein Kind in Englisch auf einem guten 2er steht und in Mathe um eine positive Note ringt, was wird getan? Werden die Anforderungen in Mathe etwas runtergeschraubt und wird es ermutigt, in Englisch noch besser zu werden? Nein, statt dessen wird ihm geraten in englisch nur das nötigste zu tun damit es mehr Zeit für Mathe hat? Was kommt raus? Ein Schulabgänger, der nach wie vor in Mathe schlecht ist (auch wenn es gerade noch für eine positive Abschlussnote gereicht hat) und der auch in Englisch bestenfalls besserer Durchschnitt ist!

Ich habe ein gehörloses Kind, welches mit 3,3 Jahren das Alphabet in Gebärdensprache aufsagen und am PC schreiben, seinen Namen buchstabieren und Zahlen bist 30 erkennen kann. Außerdem hat es ein sehr gutes Gedächtnis (spielt super Memory) und räumliches Vorstellungsvermögen. Daher hoffe ich, dass Lehrer mit solchen Ansichten dann, wenn mein Kleiner mal in die Schule kommt, Lehrer mit solcher Einstellung zumindest seltener sein werden als heute noch.
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von orangenminze »

Aber dann stimmt doch insgesamt etwas nicht, oder? Wieso ist es besser, wenn das Kind eine Kranheit hat als zu akzeptieren, dass es in manchen Fächern nicht seine Stärken hat, dafür in anderen? Und ist Schule/sind Lehrer, die so wenig differenzieren kann innerhalb der Klassen dann nicht irgendwie auf der falschen Fährte? Funtioniert lernen wirklich so? Oder anders gefragt: Brauchen wir überhaupt noch diese Unterteilung zwischen Gym, Real und Haupt? Welchen Sinn, welchen Auftrag soll Schule eigentlich erfüllen?
lg orangenminze
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

Koschka hat geschrieben: bei uns im Dorf ist die Übertrittsquote 100%. Alle, die schon in der Grundschule zu langsam waren, werden trotzdem ins Gymnasium reingeschoben. ich kann gut verstehen, dass die Lehrer dabei zynisch werden...
Ich frage mich was sich ein Lehrer einbildet von dem so eine Aussage stammt. Dass die cremé de la cremé der hochbegabten und hochmotivierten Schüler an seinen Lippen hängt wenn er sich herablässt, ihnen Wissen zu vermitteln? Sorry, aber bei so Aussagen werde sogar ich zynisch!
Koschka hat geschrieben: und damit die Kinder nicht sofort rausfliegen, holen ihre Eltern alle mögliche Nachteilausgleiche.
Na klar, weil die Kinder in Haupt- oder Realschulen nicht annähernd die gleichen Chancen haben wie Gymnasienabgänger. Wenn es für meinen gehörlosen Kleinen eine Möglichkeit zum Nachteilsausgleich geben sollte werde ich die auch nutzen!

Koschka hat geschrieben: Es können statistisch gesehen keine sieben echten Legasteniker in der Klasse vorkommen, und dazu noch etliche mit echter Dyskalkülie.
Was meinst du mit "statistisch gesehen"? In meiner Hauptschulklasse waren 3 Zwillingspaare - wie viele davon sind eigentlich statistisch gesehen in einer Klasse :gruebel: ?

Natürlich verstehe ich schon was du meinst, aber wie sollen sich Eltern sonst gegen das aussieben mit 10 Jahren zur Wehr setzen?

Ich selbst bin hochbegabt kam wegen "fehlender sozialer Reife" trotz bekannter Hochbegabung und Vorzugszeugnis nicht ins Gymnasium (die Empfehlung der Schulpsychologin lautete Hauptschule). Rückblickend wäre mir lieber gewesen meine Eltern hätten alles ihnen mögliche getan damit ich es zumindest VERSUCHEN kann.
Koschka hat geschrieben: Das ist was ganz anderes als die Situations deines Sohnes. Diese Kinder sind grundsätzlich nicht in der Lage in den meisten Fächern mitzukommen. Akademische Ausbildung gehört genauso wie es laurina schreibt, nicht zu ihren Interessen.Trotzdem wird es durchgeboxt, dass sie ins Gymnasium gehen, und dort auch bleiben, auch wenn in manchen Fällen eine Drohung mit einem Rechtsanwalt nötig ist.
Glaubst du tatsächlich dass es so viele Kinder gibt, die generell zu dumm bzw. zu desinteressiert sind? Wenn ein Kind, welches sich mit 6 Jahren wie ein Schneekönig auf die Schule gefreut hat mit 10 jegliches Interesse an Schule und lernen verloren hat - woran kann das liegen?

Die Situation meines kleinen Sohnes ist sicher ungewöhnlich, aber wenn nicht mal Schüler mit Lese- oder Rechenschwäche ins Gymnasium dürfen (sollen), wie viele Chancen hat dann ein gehörloses Kind?
Koschka hat geschrieben: Die Lehrer haben keine Lust und Zeit zum Differenzieren nach Oben weil sie ständig mit dem Wiederholen und Differenzieren nach unten beschäftig sind. Qualität wird durch Quantität erreicht. Dann kommt ab den Klassen 7. und 8. die Pubertät, und die Kinder weigern so weiter zu machen. Realschulen sind überfüllt, Selbstvertrauen ist schon lange hin, es sind keine gute Voraussetzungen um erfolgreich weiter zu lernen.
Und genau DAS wäre anders wenn es eine Gesamtschule für alle 10-14jährigen gäbe. Dann wären die Kinder nicht gezwungen, Dinge zu lernen, die sie weder lernen wollen noch jemals im Leben brauchen werden und im Gegenzug würde ihnen nicht verwehrt werden, die Dinge, die sie wirklich interessieren und die sie beruflich auch einmal machen wollten, auf hohem Niveau zu lernen.

Die finnischen Gesamtschulen zeigen deutlich, dass mit dem richtigen Schulsystem und vor allem mit motivieren Lehrern, die kein Problem mit differenzieren haben, auch Schüler mit schlechteren Voraussetzungen (Migrationshintergrund, keine Förderung im Elternhaus, psychosoziale Probleme) durchwegs zu guten Leistungen imstande sind.

Die Aussage des Lehrers aus Laurinas Schule beweist, dass hier zumindest teilweise in die andere Richtung gearbeitet wird. Statt über das "System Gymnaisum" nachzudenken werden die schwächeren Schüler und deren Eltern als Ursache für ein allgemein schlechter werdendes Niveau hingestellt.

Dabei wäre das gar nicht nötig wenn die Schüler individuell lernen dürften - eben in klassenübergreifenden Lerngruppen, wo auf Fähigkeiten und Lerngeschwindigkeit der einzelnen Schüler viel besser eingegangen werden kann. Dann käme es gar nicht zu der Situation dass der "arme" Gymnasialprofessor sich mit all diesen Kindern herumschlagen muss, die "ohnehin nicht lernen wollen oder können" und deshalb die wirklich "guten" Kinder zu kurz kämen.
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Rabaukenmama
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

Koschka hat geschrieben:@Rabaukenmama

solange ich keine Differenzierung mit eingenen Augen sehe, ist die Gesamtschule das letzte was ich will. D. ist nicht bereit klassenübergreifend zu unterrichten. Da gehen die Eltern auf die Barikaden.
Für mich widerspricht sich das total. Einerseits verstehst du, dass Gymnasiumprofessoren zynisch werden, wenn sie sich mit "schwachen" Schülern rumschlagen müssen und Nachteilsausgleiche gefordert werden, andererseits sagst Du, dass du keine Differenzierung mit eigenen Augen siehst.

Was jetzt? Wollen wir Differenzierung oder nicht? Wenn wir sie wollen dann ist es allerhöchste Zeit, sie in den JETZT bestehenden Schulen einzufordern. Und wenn sie nur die Eltern der Schüler, die in einem oder mehreren Fächern Probleme haben, einfordern, hilft das gar nichts. So wie hier:

https://www.pinterest.com/pin/266345765438455888/

Wenn nicht auch der Affe (dem die Aufgabe sehr gelegen kommt) eine gerechtere Prüfung fordert ist das ähnlich wie wenn die Eltern, deren Kinder ZUFÄLLIG besser mit den gerade geforden Aufgaben zurechtkommen, diejenigen Lehrer, die gar nicht differenzieren WOLLEN, noch unterstützen und "verstehen". Denn wenn die Eltern von den "schwächeren" Kinder sich über Ungerechtigkeit beschweren wird ihnen natürlich sofort unterstellt, für die eigenen Kinder Vorteile herausboxen zu wollen. Tun sie ja auch, aber was ist daran schlecht? Bei Kritik sollte man darauf achten ob sie gerechtfertigt ist und nicht die Motive des Kritisierenden hinterfragen.
Koschka hat geschrieben: Solange der Druck im Gesellschaft herrscht, lässt sich in den Schulen nichts ändern. Es wird ausgesiebt, es wird nach oben gezogen, und es wird einem spätestens ab Klasse drei gepredigt, wer in der Schule schwach ist, hat keine gute Chancen im Leben. Das muss weg, alles andere kommt danach von selbst. Man kann sich nicht auf Skandinaven orientieren. Deren sozialsysteme und einstellungen sind ganz anders.
Wie soll der Druck wegkommen wenn sich nichts ändert? Wenn die Änderung nur darin bestünde, dass der Aussiebeprozess mit 10 Jahren wegfällt, würde sich schon einiges bewegen. Der kann aber nicht wegfallen solange noch so viele am bestehenden System festhalten. Und solange Lehrer, die gar nicht differenzieren wollen, nicht nur unterrichten dürfen, sondern sogar "verstanden" werden, wird sich nichts ändern.
Koschka hat geschrieben: Man kann sich nicht auf Skandinaven orientieren. Deren sozialsysteme und einstellungen sind ganz anders.
Warum kann man sich nicht an Skandinavien orientieren? Im Moment kann man sich an einem System orientieren, welches im frühen 20. Jahrhundert vom aufstrebenden Bürgertum gefordert wurde. Die haben der 4-klassigen Volksschule für alle Kinder nämlich nur unter der Bedingung zugestimmt, dass ihre eigenen Kinder danach nicht mehr mit den Kindern der eigenen Dienstboten "Ellenbogen an Ellenbogen" in der Schulbank sitzen müssen. Vielleicht wäre ja sonst so ein Dienstboten-Kind besser in der Schule als das eigene! Und das galt es zu verhindern.

Im Moment wird so getan, als würde Chancengleichheit bestehen. Aber das ist absolut nicht der Fall. Denn gerade durch den von Dir beschriebenen Druck ab der 3. Klasse haben Kinder, deren Eltern nicht die Möglichkeit oder Kompetenz haben, ihr Kind zum erreichen guter Noten zu drillen, einen deutlichen Nachteil. Es gibt zwar einige wenige wirklich "gute" Schüler auch aus sozial schwächeren Familien, aber beim großen Mittelfeld einer Volksschulklasse (also nicht ganz gut, aber auch nicht schlecht) geht es immer noch absolut nicht gerecht zu.

Ich kenne einen mittlerweile über 60jährigen Mann der vor gut 50 Jahren als einziges Arbeiterkind eine Gymnasiumempfehlung bekommen hat und die Aufnahmeprüfung als einer von 2 Schülern der ganzen Klasse mit Auszeichnung bestanden hat. Der wurde schon im ersten Jahr von Lehrern wie Schülern derart gemobbt und runtergemacht dass er trotz ausgezeichneter schulischer Leistungen in der Wut einen Lehrer beschimpft hat und darum von der Schule geflogen ist.

Lange her, aber heute ist es leider immer noch nicht deutlich besser.
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elboku
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von elboku »

Ich möchte für meine Kinder weder eine Ganztagesschule noch eine Gesamtschule!

Die Kinder sollen die gleichen Möglichkeiten haben und Zugang zur Bildung haben, doch es ist eine Illusion, dass alle die gleichen Bedingungen vorfinden (und ich wage auch zu behaupten, dass Chancengleichheit eine Illusion ist).

Es gibt über- und unterdurchschnittlich begabte Kinder
Es gibt fleißige, weniger fleißige Kinder
Es gibt Kinder, die zu Hause gefördert werden, andere werden das nicht
usw.

Und mit dem ganzen Packerl, was das Kind ausmacht kommt es ins Schulsystem. Somit kann dieses Gleichmachen, das im Moment von der Regierung so angestrebt wird, nun mal nicht funktionieren.

@ Rabaukenmama:
Das Bild hab ich schon oft gesehen, aber ich sehe das Problem darin, dass der Baum für ein Bildungsziel steht. Man hat sich für jede Schulstufe je nach Schultyp auf ein Bildungsziel geeinigt.
Wenn nun ein Kind dieses Bildungsziel nicht erreicht, dann ist vielleicht der Schultyp nicht passend. Oder es wird das Bildungsziel nie erreichen. Das ist halt leider so. Die Gründe dafür sind unterschiedlich.
Die Mehrheit sollte 9 Jahre Schule mit einem Mittelschulabschluss schaffen. Aber es wird immer Kinder geben, die auch das nicht können. Das ist zwar traurig, aber Realität.
Genauso wird es Kinder geben, die mehr als das jeweilige Bildungsziel erreichen. Auch diese sollten einen geeigneten Schultyp vorfinden.

In Wien gibt es z.B. den Schulversuch "Modulare Oberstufe" http://diepresse.com/home/bildung/schul ... er-Funfern
Dieses System finde ich sehr ansprechend, und kommt der unterschiedlichen Lerngeschwindigkeit entgegen.

LG, Lisa
Bliss
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von Bliss »

Rabaukenmama hat geschrieben: Dabei wäre das gar nicht nötig wenn die Schüler individuell lernen dürften - eben in klassenübergreifenden Lerngruppen, wo auf Fähigkeiten und Lerngeschwindigkeit der einzelnen Schüler viel besser eingegangen werden kann. Dann käme es gar nicht zu der Situation dass der "arme" Gymnasialprofessor sich mit all diesen Kindern herumschlagen muss, die "ohnehin nicht lernen wollen oder können" und deshalb die wirklich "guten" Kinder zu kurz kämen.
Klingt erstmal gut. Nur was ist, wenn am Ende wie bei Koschka geschildert alle das Abitur anstreben? Da kann man eigentlich nur über die Zeit, die es bis zum Abitur braucht differenzieren, also Klasse überspringen oder wiederholen.

Ich finde das mit dem die Lehrer wollen und können nicht differenzieren sagt sich immer so einfach. Aber schon wenn meine 4 Kinder verschiedenen Alters gleichzeitig was vom mir wollen merke ich, wie schwierig das ist und es geht nicht, ohne einige entweder auf später zu vertrösten (die Großen auf die Zeit wenn die Kleinen schlafen) oder einge mit irgendwelchen Beschäftigungsmaßnahmen "ruhigzustellen" Aber schon das hin- und herswitschen, wenn man sich wirklich auf das Kind einläßt und nicht nur Hm, ja, toll auf seine Erzählungen antwortet ist schwierig.

Und wenn eine Klasse sehr heterogen ist und von hochbegabten bis minderbegabten auch noch Kinder hat, die den Stoff aufgrund einer Behinderung auf ganz andere Art und Weise vermittelt bekommen müssen kann ich mir schon bei Miniklassengrößen nicht vorstellen, wie das gehen soll, außer dass die Kinder das mehr oder weniger in Eigenregie machen müssen.
Maca
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von Maca »

Ich habe das Glück zwei völlig verschiedene Kinder zu haben,die mir tagtäglich zeigen wie vielfältig auch Lernen sein kann.

Hätte ich nur meinen Sohn würde ich mit Sicherheit auch für vermehrtes rechtzeitiges Aussieben plädieren und wäre der Meinung ,daß es meinem Jungen nicht wirklich zuzumuten ist immer auf die leistungsschwächeren Kinder zu warten und ständig ausgebremst zu werden. Zur Zeit ist die Rechtschreibleistung innerhalb seiner 5. Klasse so schlecht und die Lesefähigkeit noch viel mehr,daß die Kinder eigentlich erstmal auf eine gymnasiale Beschulbarkeit vorbereitet werden müssen,denn sonst müßten 60% der Kinder seiner Klasse die Schule verlassen.
Was ist da schief gelaufen? Akademikeranteil bei den Eltern liegt bei über 90 % ,viele Familien aus dem journalistisch,kreativem Gewerbe.Warum können deren Kinder nicht mehr schreiben und ,was ich viel schlimmer finde,nicht lesen?
Meine Legasthenietochter kann ,wenn sie sich stark konzentriert fast fehlerlos schreiben ,in Aufsätzen ist es aber leider katastrophal!
Seit der sechsten Klasse gibt es daher nun immer bis zu zwei Notenpunkten Abzug,in ALLEN Fächern,tja da fällt es schwer sein Kind zu motivieren! Einen Nachteilsausgleich beantragen wir für sie nicht,sie möchte das nicht,weil sie dann das Gefühl hätte auf eine gute Note nicht mehr stolz sein zu können.
Meine Tochter ist SEHR langsam,kann häufig nicht richtig schreiben und braucht generell länger,bis Lerinhalte hängenbleiben.Eigentlich kein Kind fürs Gymnasium,habe ich im Vergleich zu meinem Sohn auch immer gedacht.

Aber komischerweise sind es die Lehrer meiner Tochter,die uns versichern,wie toll sich unsere Tochter ,trotz der Probleme in der Schule macht,und was für eine Bereicherung ihre klugen und sehr reflektierten Beiträge im Unterricht für alle sind.

Und manchmal ,wenn ich meine Kinder so beobachte und meinen durch und durch logisch,analytischen Sohn mit meiner hoch empathischen,sehr reflektierten,extrem Ganzheitlich orientierten und sozial bemerkenswert kompetenten Tochter vergleiche keimt in mir der Gedanke auf,
WARUM sollten dem einen Kind alle Chancen auf einen späteren,gut bezahlten Job offenstehen und dem anderen nicht?
Im Zweifelsfall würde ich heute davon ausgehen,daß meine Tochter mindestens genauso wertvoll für die Gesellschaft sein könnte wie mein Sohn.
Ach ich naives Schaf,ich hatte ja ganz vergessen,daß Einkommen und gesellschaftlicher Nutzen nicht unbedingt miteinander korrelieren !
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

Koschka hat geschrieben: was ich nicht will ist eine Revolution. Die bestehenden Leher KÖNNEN NICHT differenzieren. Neue auszubilden dauert lange.
Interessante Einstellung. Wenn ich jetzt als Argument zurückwerfe "Die bestehenden Kind KÖNNEN NICHT lernen" - wird das dann auch als unumstößliche Tatsache hingenommen mit der Aussicht, dass die neuen (also "zukünftigen") Kinder es plötzlich können werden?

Ich sehe sowohl bestehende Lehrer, die differenzieren können, also auch solche, die es nicht können bzw. nicht wollen. Und solange zweitere von den Eltern der zufällig besser angepassten Kinder und der Schulleitung noch in Schutz genommen werden, sehe ich auch keinen Anlass dass sie ihre Einstellung überdenken und überhaupt einmal BEREIT werden, sich aufs differenzieren-lernen einzulassen,

Mehr dazu später, meine Söhne brauchen mich :) .
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Re: Diskussionsthema Schule

Beitrag von Rabaukenmama »

@Koschka: es geht mir nicht um eine Grundsatzdiskussion wie viel Prozent der Lehrer differenzieren können und wie gut. Ich durfte schon mehrere Lehrer persönlich kennenlernen die es mMn können, und vermute daher, dass es gar nicht SOOOO wenige sind.

Was mich gewaltig stört ist Deine Aussage dass wir auf die "nächste Generation" an Lehrern warten müssen. Himmel, nur weil wer was nicht kann heißt das noch lange nicht, dass er es nicht LERNEN kann!

In meiner Schulzeit gab es Computer maximal in Großbetrieben und das waren teilweise noch mit Lochkarten zu bedienende Riesenmaschinen, die ganze Räume, Unmengen Strom und eigens ausgebildete Programmierer für heute lächerlich einfache Rechenschritte benötigt haben.

Wenn ich morgen arbeitslos werden sollte werde ich aber dennoch beim nächsten Vorstellungsgespräch gefragt werden ob ich mit word, excell und power point arbeiten kann. Wenn ich dann sage "Sorry, meine Schulzeit war von 1977 bis 1986, da gab es das noch nicht!" habe ich keine Chancen auf einen Job. Es wird erwartet dass ich es kann, weil das heute eben notwendig ist.

Warum sollen sich dann nicht Lehrer auch Fertigkeiten aneignen können, die vielleicht zu ihrer Studienzeit noch nicht gefragt waren, es aber heute mehr und mehr sind? Warum konnen unfähige Lehrer immer noch nicht einfach entlassen werden?

An meiner Hauptschule gab es einen total unfähigen Lehrer, der immer wieder Schüler lächerlich gemacht und erniedrigt hat. Auch vor körperlichen Übergriffen war man bei ihm nicht sicher. Ich habe selbst gesehen wie er einen Schüler meiner Klasse an den Haaren vom Pult hochgezogen und die Köpfe von zwei anderen Schülern gegeneinandergeknallt hat.

Von einer Freundin, die denselben Lehrer einige Jahre später hatte, weiß ich von noch schlimmeren Vorfällen. Diese Freundin war auch Ohrenzeuge wie der Schuldirektor diesen Lehrer völlig entnervt zum x-ten Mal wütend entgegengeschleudert hat dass er Schüler in keinem Fall schlagen oder sexuell belästigen darf :twisted: . Unter anderem fiel in dem Gespräch "Wenn ich könnte hätte ich Sie schon längst rausgeworfen!".

Es gibt keinen Beruf wo Menschen, die schon etliche Male ihren Unfähigkeit bewiesen haben, dermaßen geschützt werden. Statt sie mit einem A....tritt für immer aus dem Schultor zu befördern werden solche Leute täglich auf unserer Kinder losgelassen! Jeder Arzt, der einen Patienten falsch behandelt, muss mit Klage rechnen oder darf schlimmstenfalls seinen Beruf nicht mehr ausüben. Aber wenn ein demotivierter, zynischer, selbstherrlicher Lehrer das Selbstbewusstsein seiner Schüler zerstört und ihnen durch seine Art jegliche Freude am lernen nimmt wird das einfach so hingenommen.

Du schreibst, dass alle ungeprüften Methoden von den Schulen verschwinden sollen. Aber ungeprüfte Lehrer dürfen weiter unterrichten? Wenn schon auf Qualitätsstandards bestanden wird so ist doch das mindeste, diese nicht nur was den Lehrplan, sondern auch dessen Umstetzung betrifft, zu verlangen.

Abgesehen davon oute ich mich jetzt mal als Bildungsbanause (und der bin ich gegen dich, Koschka, die du deine Kinder selbst unterrichtest, bestimmt ;) ) und gebe offen zu, dass mir nicht bekannt ist welche Methoden wann, wo und wie geprüft wurden und welche einfach angewendet werden weil es "schon immer" so gemacht wurde.

Ich frage mich auch wie man einen Standard zur Überprüfung von Lehrmethoden einführen kann, wenn nicht wieder durch Schulversuche. Und unter ständig gleichen Laborbedingungen geht das schon gar nicht, denn selbst wenn dem Lehrer die grundsätzliche Lehrmethode und der Lernstoff staatlich vorgegeben werden hat jeder seine individuelle Art der Umsetzung in der Klasse. Lehrer und Schüler sind eben keine Laborratten. Dadurch sind widersprüchliche Ergebnisse vorprogrammiert. Wenn in Klasse A von 20 Schülern 5 den Lernstoff erwiesenermaßen verstanden haben und in Klasse B 15 von 20 Schülern, nimmt man dann einen Durchschnittswert her oder schaut man genauer hin was Lehrer B anders gemacht hat als Lehrer A? Wenn ein Durchschnitt hergenommen wird kann man mMn auf diese Form von Standardisierung gleich verzichten, weil ihre Ergebnisse nicht glaubwürdig und nachvollziehbar sind.

Ein überdenken der Lehrpläne (Wie zeitgemäß sind sie? Was hat sich bewährt, was nicht?) ist auf jeden Fall sinnvoll, aber in meinen Augen nicht der Hauptpunkt.

Viel wichtiger ist ein überdenken und neu definieren der Aufgaben von Lehrern. Wenn neue Fähigkeiten von Lehrern erwartet werden sollte man sie auch dabei unterstützen, sich diese Fähigkeiten anzueignen. DAs kann durch aufzeigen von positiven Beispielen passieren; z.B. dass Lehrer "in Ausbildung" dieser Fähigkeiten Gast an Schulen sein dürfen, wo differenziertes Lernen erfolgreich praktiziert wird und viel Möglichkeit zum Austausch mit kompetenten Kollegen bekommen.
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