Sohnemann hatte im Kindergarten einen Lieblingsfeind, mit dem er Konflikte auch immer wieder mal hangreiflich ausgetragen hat. Und obwohl die Kindergärtnerinnen allesamt bestätgten, dass sich die zwei Buben gegenseitig "nichts schenken" (also mal der eine, mal der andere anfängt, hinzuhauen) war die Mutter dieses Buben der festen Überzeugung, mein Sohn sei aggresiv und unberechenbar und ihr Sohn ständig das Opfer. Sie wollte sogar den Kontakt der beiden verbieten, was im gemeinsamen Kindergarten aber natürlich nicht möglich war. Also haben die Kindergärtnerinnen die beiden (ohne das groß breitzutreten) voneinander ferngehalten, in der Garderobe auseinandergesetzt, bei Aktivitäten in unterschiedliche Gruppen eingeteilt, usw. Das klappte ganz gut, vielleicht wäre da bei euch auch eine Option.
Was bei mir (im Gegensatz zu euch) erschwerend hinzukam ist, dass meine Jungs beide Autisten sind, also eine andere Wahrnehmung haben, als gesunde Kinder. Daher musste ich lernen, auch meine Erwartungshaltung an ihr Verhalten zu ändern. Wenn mein Kind durch eine Lähmung im Rollstuhl sitzen würde, würde ich auch nicht von ihm erwarten, dass es den Schulweg zu Fuß bewältigt, nur weil die gesunden Mitschüler das tun. Bei Autisten liegen die Probleme im sozial-emotionalen Bereich. Egal, ob hochbegabt, durchschnittlich begabt oder lernbehindert: es wäre einfach ungerecht, von einem Autisten dasselbe Verständnis und dieselbe Umsetzung von sozialen Regeln zu erwarten, wie von gesunden Kindern!
Das heißt nicht, dass ich alles durchgehen lasse. Gerade bei Autisten sind klare Regeln als Orientierung extrem wichtig.Und wenn eines meine Kinder sich mal daneben benimmt (also auf andere losgeht, was kaputtmacht, etc.) dann muss das natürlich besprochen werden. Ab besten ist (wenn ich ruhig genug dazu bin) unmittelbar nach der Situation, wenn das nicht geht (weil der Vorfall z.B. im Kindergarten war) dann eben zu Hause. Zustäzlich "Sanktionen" haben sich - zumindest bei uns - als kontraproduktiv herausgestellt. Es war tatsächlich NIE der Fall, dass eines meiner Kinder etwas unterlassen hätte, weil es ins Zimmer gehen musste oder nicht zum Computer durfte. Und es war auch nie so, dass mein älterer Sohn im nachhinein sein Verhalten selbst als ok empfunden hätte. Es hat ihm selbst immer leid getan, wenn mal wieder was vorgefallen ist.
Die meiste Zeit konnte ich also ruhig bleiben, den Vorfall 1:1 mit dem Kind besprechen (mit "aktivem zuhören") und wenn ich von anderen neben meinem Sohn ÜBER ihn sprach, habe ich seine Verfehlungen kaum bzw. nur nebenbei erwähnt, um ihnen nicht so viel "Raum" zu geben. Die Sache, wo mir das nicht gelungen ist, war das Fäkalien-an-Wände-schmieren! Da bin ich jedes Mal total emtotional geworden, habe rumgebrüllt, meinen Sohn wüst beschimpft und ihn einmal sogar im mit Fäkalien beschmierten Bett schlafen lassen. Heute schäme ich mich dafür, gestehe mir aber zu, dass es Verzweiflungstaten waren.
Bei uns gibt es jetzt schon lange keine Strafen, "Sanktionen" oder "Konsequenzen" (sind ja nur neue Wörter für "Strafe") mehr. Es gibt auch keine Belohnungen für erwünschtes Verhalten, obwohl das bei Autisten als DAS Erziehungsmittel schlechthin angepriesen wird. Und es funktioniert kein bißchen schlechter als früher, wo ich zumindest zeitweise noch glaubte, immer "konsequent" sein zu müssen, weil das von mir erwartet wird.
In deinem Fall würde ich Dir konkret raten, dafür zu sorgen, dass die Stimmung innerhalb der Familie besser wird. Dass ihr angenehme Sachen zusammen unternehmt, und über DIESE sprecht, nicht über alles, was nicht passt, und was dein Sohn von Verhalten her unbedingt ändern sollte. Wenn so Situationen sind, wo er auszuckt, wütend ist, Gegenstände wirft, etc. würde ich dafür sorgen, dass er sich selbst oder andere möglichst nicht verletzt und auch nichts kaputt macht. Das kann durch Wechsel der Räumlichkeiten sein oder auch mit festhalten in der akuten Situation. Aber ich würde das Kind nicht wegschicken sondern diesen Ausbrauch MIT IHM durchstehen.
Ich weiß, wovon ich rede. Mein jüngerer Sohn ist so ein Wutbürger. Früher hatte er 1-3 heftige Wutausbrüche am Tag, jetzt (mit 5 1/2 Jahren) sind es "nur noch" 3-5 pro Woche. Also schon eine wesentliche Besserung, obwohl es immer noch heftig ist. Aber das Gegenstände werfen hat komplett aufgehört. Wenn mein Sohn auf mich oder meinen Mann körperlich losgeht (meistens mit hinschlagen) fangen wir seine Hände ab. Bei uns ist die Situation mit "klarstellen, dass das nicht geht" da noch mal schwieriger, denn es bringt nichts zu sagen "Hör sofort auf damit!" weil unser Sohn ja gehörlos ist. Und wenn man die Hände festhält hat man Sie nicht zum gebärden frei. Aber mittlerweile weiß er schon selbst, dass es nicht ok ist. Ein Wutanfall dauert auch nur noch 15-30 Minuten und nicht mehr, wie früher, bis zu 1 1/2 Stunden!
Ich habe gelernt, die Wutanfälle meines Sohnes nicht mehr als seine Charakterschwäche oder mein persönliches Versagen zu sehen. Es hat auch nichts mit der Erziehung zu tun (der ältere Sohn hatte NIE solche Wutanfälle), sondern eher mit der Wesensart. Das ist eben eine Phase, die bei ihm stärker und öfter auftritt, als bei anderen Kindern, und wo wir GEMEINSAM durch müssen.
Vor einigen Tagen hatte Sohnemann mal wieder so einen Wutanfall mit schreien, kreischen, mich-schlagen und immer wieder seinen Standpunkt vorbringen ("Aber ich WILL noch Gummibärli!"). Es dauerte ca. 20 Minuten. Dann war er schon etwas erschöpft, gebärdete noch einmal "Ich will noch Gummibärli!", sah mich dann ca. 30 Sekunden groß an,...und drückte mir dann spontan einen dicken Kuss auf den Mund, um sich anschließend friedlich was zum spielen zu suchen

Das sind die Momente, wo ich mich bestätigt fühle, auch die emotionale schwierigen Phasen MIT meinen Kindern durchzustehen. Sie tun das, was sie tun, nicht um mich zu ärgern sondern um sich selbst zu "finden" und Grenzen auszutesten (nicht bösartig gemeint). Dabei brauchen Sie Nähe von Personen, denen sie vertrauen können. Ich darf nur nicht während eines Wutanfalles ihre Gefühle ignorieren und sie z.B. selbst zu streicheln oder zu küssen versuchen.
Du weißt bei deinem Sohn noch nicht, ob die Beißattaken und Wutanfälle "nur" stärkere, altersgemäße Phasen sind, oder ob (unabhängig vom IQ) eventuell eine Wahrnehmunsstörung (ADHS, ASS, AVWS, etc.) dahinter steckt. Noch kannst du davon ausgehen, dass er ein sehr emotionales Kindergartenkind ist. Aber auch wenn mehr dahinter stecken sollte, gibt es Wege, damit umzugehen. Mein jüngerer Sohn war 4 als er den Befund "Verdacht auf Autismusspektrumsstörung" bekam, und 5 als das "Verdacht auf..." gestrichen wurde. Bei meinem älteren Sohn, der mit seiner Klugheit viel kompensiert hat, kam die Diagnose erst mit 7 Jahren. Vor allem beim älteren Sohn hatte ich anfangs Bedenken wegen der "Richtigkeit" der Diagnose, weil er in vielen Punkten eben ganz ander reagiert als sein Bruder. Mittlerweile habe ich mich in die Materie gut eingelesen und bin mir ziemlich sicher, dass beide Diagnosen korrekt sind.
Was die Mutter des gebissenen Kindes betrifft würde ich Dir raten, damit zu leben, dass sie dich für unfähig hält. Es reicht, wenn du selbst weißt, dass du es NICHT bist! Wer Kinder hat (vor allem Einzelkinder), die meistens "brav" sind und keine Probleme machen, heftet sich das gern auf die eigenen Fahnen und glaubt daher, bei anderen Kindern besser zu wissen, was zu tun ist. Das ist etwa so, als würde ein Donauradweg-Freizeitradler einem Tour-de-France-Fahrer Tipps geben
