Jetzt wird es lang
Koschka hat geschrieben:
welche Wesenszüge meinst du weisen bei deinem Kleinen in Richtung Asperger? .. Das sind alles an sich keine Ausschlusskrieterien, aber die Summe stimmt bis jetzt nicht.
Ich weiß. Deshalb wollte ich auch ursprünglich eine Erziehungsberatung. Kinderärztin und Kinderpsychologin waren sich aber einig, dass die nicht helfen würde, weil die Schwierigkeiten eher nicht in der Erziehung liegen.
Verdachtsmomente (mehr ist es bisher ja wirklich nicht) sind:
Er hatte eine sehr starke orale Phase, die auch heute noch nicht beendet ist. Noch immer steckt er verschiedene Dinge (Duplo-Steine, Flummis, Spielsachen) in den Mund.
Er ist sehr geruchssensibel und kann Kleidungsstücke nach dem Geruch der jeweiligen Person zuordnen. Er ist sehr lärmempfindlich und mag deshalb Kita-Geburtstage, Silvester ... nicht. Macht aber dennoch gern selbst Krach und der kann gar nicht laut genug sein.
Trotz- und Fremdelphase waren nicht erkennbar.
Ab etwa einem Jahr mehrmals täglich - zum Teil ohne erkennbaren Anlass - Wutausbrüche, bei denen er mit Gegenständen schmiss, sich selbst kratzte, an den Haaren zog und den Kopf auf den Fliesenboden schlug. Die Ausbrüche hat er bis heute, verletzt sich aber nicht mehr selbst (nur noch uns und den Bruder).
Er provoziert täglich seinen Bruder, obwohl er ihn über alles liebt. Er macht seine Bauwerke kaputt, schlägt ihm einfach im Vorbeigehen mit der Faust auf den Rücken, zerrt an ihm herum, kratzt oder tritt. Alles ohne Wut, aber auch ohne jedes (erkennbare) Unrechtsgefühl. Sind wir unterwegs, kommt dieses Verhalten praktisch gar nicht vor. Er sagt, das seien Kratz-, Beiß- und Tretwörter, die aus seinem Mund kommen. Wir haben gemeinsam überlegt, den Mund auszuspülen, wenn diese Wörter (die ja eigentlich Taten sind) wieder rauswollen. In der Situation selbst schafft er es nur ganz selten, diese Idee umzusetzen. Nach schwierigen Tagen spült er aber abends von sich aus ausgiebig den Mund, „damit ich Paul nicht mehr ärgere“.
Erkläre ich ihm, dass ich nicht soviel reden oder vorlesen kann, weil ich starke Halsschmerzen habe oder bitte ich ihn, nicht so laut zu trommeln, weil mir der Kopf wehtut, brüllt er:“Du hast keine Halsschmerzen/Kopfschmerzen…!“ und trommelt noch lauter oder fordert noch vehementer Vorlesen oder Gespräch.
Als ich einmal wegen eines Streits um die Nachtruhe so fertig war, dass ich aus dem Zimmer ging und weinen musste, zeigte er nicht den Hauch von Schuldbewusstsein, sondern lief mir nach, schlug, trat und sang weiter „ätschebätsch“. Ich habe oft das Gefühl, dass ihm über-haupt in den Sinn kommt, dass es jemandem nicht gut gehen könnte und wie man dann reagiert. Er sieht dann ausschließlich sich und dieses Verhalten höre ich so von anderen Kindern in dem Alter nicht.
Er wirkt oft überdreht. Zum Beispiel springt und klettert er auf uns oder den Möbeln herum. Dass er uns dabei weh tut, scheint ihn nicht zu interessieren. Wenn wir ihn darauf hinweisen, wiederholt oder verstärkt er das Verhalten meistens. Geht bei seinem Getobe etwas kaputt – zuletzt der Hausschlüssel – ist er totunglücklich. Wenn ich ihn bei der nächsten Toberei erinnere, dass etwas kaputt gehen könnte, scheint ihn das aber gar nicht zu erreichen. Er erinnert sich aber durchaus an den Vorfall und erklärt anderen auch, was und wie es passiert ist.
Er vergisst ständig, wo er Dinge hingelegt hat und ist feinmotorisch eher ... *hüstel* Malt und schnippelt aber dennoch mit Begeisterung.
Fremde spricht er völlig offen an oder geht manchmal hin, um zum Beispiel Stickereien an einer Jacke ausgiebig zu untersuchen.
Er mag ja Märchen und Geschichten, versteht aber oft nicht, was in den Figuren vorgeht. Er fragt immer wieder, ob derjenige gerade traurig ist, warum der andere wütend ist etc.
Oft haben wir das Gefühl, dass er gar nicht mitbekommt, wenn wir ihn ansprechen. Inzwischen habe ich eher das Gefühl, dass es manchmal einfach länger braucht, bis es im Kopf angekommen ist und eine Reaktion bei ihm auslöst. Besser geht, wenn ich mich vor ihn setze, ihn berühre und auffordere, mich anzusehen (das Gehör ist ok). Dann kann ich mit ihm sprechen und er reagiert auch.
An manchen Tagen bricht er in verzweifelte Tränen aus, weil die Kiwi-Stückchen auf seinem Teller nicht ordentlich zusammengeschoben liegen, sondern verrutscht sind. Ist der Laptop kurzfristig defekt und wir gucken das Abendfilmchen auf dem Tablett, kann er einen viertelstündigen Wut- und Verzweiflungsanfall bekommen (mit Gebrüll, Treten und Versuchen, den Laptop endgültig kaputt zu machen). Ich weiß inzwischen, wie ich ihn aus so einer Situation holen kann. Früher dauerten Wutanfälle auch gern eine halbe Stunde.
Er ist ganz bestimmt bei der Entscheidung, ob er etwas kann oder nicht. Zum Verständnis mal ein paar Beispiele:
Nachdem er tagsüber und nacht trocken war, brauchte er noch über Monate nachts eine Windel. Allein der Vorschlag, die Windel wegzulassen, löste Panik aus. Dann erklärte er abends, dass er keine mehr bräuchte und hat seit dem nie wieder ein getragen.
Zum vierten Geburtstag hat er ein Fahrrad bekommen, sich aber einige Monate geweigert, damit zu fahren. Lieber nutzte er sein Laufrad. Als wir eines Abends nach Hause kamen, erklärte er, jetzt Fahrrad fahren zu wollen. Helm auf, Kind auf das Rad und er fuhr völlig selbstverständlich los.
Die ersten Jahre war es nicht möglich, mit ihm auswärts zu übernachten. Der Gedanke daran (mit uns zusammen) zum Beispiel bei den Großeltern zu schlafen, löste regelrechte Panik aus und so haben wir immer nur Tagesbesuche gemacht. Ostern dieses Jahres meinte er, jetzt mit uns bei Oma und Opa übernachten zu können. Und tatsächlich ging es völlig problemlos.
Im Spätsommer meinte er, jetzt allein bei meinen Eltern schlafen zu wollen und auch das klappte super.
Wir haben ein Pferd, das wir öfter gemeinsam besuchen und vor dem er ziemlich Angst hatte (vor den anderen Pferden auch). Er mochte es weder streicheln noch reiten. Lieber hielt er sich bei den Traktoren auf. Mitte Oktober dieses Jahres erklärte er morgens, auch reiten zu wollen. Als wir auf der Koppel ankamen, bewegte er sich absolut ruhig und entspannt mitten zwischen acht Pferden und ließ sich anschließend genauso entspannt und begeistert im Schritt über den Hof führen.
Ähnlich lief es bei der Begegnung mit anderen Hunden. Obwohl er mit einem Hund aufwächst, war er allen fremden Hunden gegenüber sehr ängstlich. Seit September bleibt er plötzlich völlig entspannt, selbst wenn mittelgroße, lebhafte Hund um ihn herumtoben.
Ich fand das alles bisher nicht speziell, auch wenn mir andere Eltern immer nur sagten, dass sie das bei ihren Kindern so nicht kennen. Aber die Zwerge sind ja alle verschieden
