zunächst: vielen vielen Dank für eure Rückmeldungen, eure Offenheit und Ehrlichkeit. Sie sind für mich sehr wertvoll, und ich habe sie in den vergangenen Tagen immer wieder gelesen. Seither hat sich hier nochmal einiges verändert, von dem ich euch gern berichten möchte.
Unser Sohn geht nun 3x/Woche für je 2 ½ Stunden in einen Spieletreff, wo er von Gleichaltrigen umgeben ist. Da wir uns noch in der Eingewöhnung befinden, ist natürlich noch offen, wie er sich dort einfügen wird. Erste Rückmeldungen waren sehr positiv, wobei er sich schon als sehr willensstark präsentiert. Ich bin gespannt, wie es dort weitergeht. In 2 Wochen haben wir ein Anmeldegespräch für einen Kigaplatz im nächsten Jahr, sodass auch bei dieser Baustelle vorwärts geht.
Thema Ängste: Er entwickelt seit einigen Tagen wieder zunehmend Ängste. So hat er wieder Angst vor dem Rauchmelder. Dieses Mal ist es aber nicht das Blinken was ihn ängstigt (war vor ein paar Monaten so), sondern er hat Angst, dass da Rauch raus kommt. In der Nacht versteckt er sich immer wieder unter der Bettdecke, weil er fürchtet, dass Kasper oder ein Raucher vom Bettrand auf sein Bett springen. Das Thema Rauchen beschäftigt ihn sehr. In unserer Familie raucht niemand, aber er sieht jeden Zigarettenstummel auf dem Gehweg, sieht jeden Raucher vorm Supermarkt. Und immer teilt er seine Beobachtungen mit uns. Auch machen ihm verschiedene Augen Angst (die Elchaugen von der Gästepuschen-Aufbewahrung, die Augen von der Uhr auf dem Holzspiel) und er sagt ganz klar, dass er sie nicht sehen will. Außerdem machen ihm Geräusche Angst: Hörbücher, die er bisher problemlos gehört hat, fürchtet er nun (z.b. die Nachtszene in „Weißt du eigentlich wie lieb ich dich hab?“ und die Klapperschlangen-Szene in dem Stück „Trommelspecht“ von den Kleinen Einsteins). Auch das Geräusch vom Augen-öffnen seines Eulenweckers mag er plötzlich nicht mehr hören. Beim Autofahren (er saß vorwärtsgerichtet, bisher saß er rückwärtsgerichtet) stellte er vorgestern fest, dass links und rechts von der Straße Felder sind, die nicht eingezäunt sind. Er äußerte daraufhin, dass er Angst habe, dass wir von der Straße abkommen und ins Feld fahren und fragte, warum sie nicht eingezäunt sind. Dieses Thema wiederholt sich seither regelmäßig. Auch sieht er jeden Radfahrer, der ohne Helm fährt und teilt mir deren Fehlverhalten, inklusive der daraus resultierenden Gefahr, mit. Dazu eine Frage: sind das alterstypische Ängste oder muss ich mir Sorgen machen dass er sich zu viele Gedanken macht bzw., auch einfach „zu viel“ sieht?
Thema KJP/SPZ: eure Nachrichten waren quasi der letze Anstoß und ich habe telefoniert: wir haben nun in 3 Wochen einen Termin, bei dem unser Sohn (erstmals!) nicht aus dem medizinisch-pathologisch-defizitären Blickwinkel betrachtet wird, sondern aus begabungspsychologischer Sicht. Die Psychologin wurde mir bereits vor den der DGhK empfohlen (danke nochmal für den Tipp!). Ich bin total gespannt auf den Termin und verstehe ihn als weiteres Puzzleteil, zusätzlich zu den bereits vorhanden Teilen. Ich hoffe, dass sich mir dann bald das große Ganze erschließen wird. Unsere Termine beim SPZ sind nun sowieso ersteinmal durch, ich warte noch auf den abschließenden Bericht.
Thema Reize: nach euren Berichten und insbesondere nach der Nachricht von Koschka bin ich in der letzten Woche immer mal wieder aufmerksam durch das Zimmer meines Sohnes gestreift. Dabei wanderten nochmals einige Spielzeuge in die „Ausrangiert-Kiste“ und schließlich auf den Dachboden. Sein Zimmer wirkt nun noch klarer, ruhiger, aufgeräumter. Vielleicht hat es ja positive Effekte. Was die Reize außerhalb der Wohnung betrifft, so fahre ich fort wie bisher. Viel Bewegung, viel bekanntes, aber auch viel Neues. Frei nach dem Motto: draußen das Abenteuer, drinnen die Ruhe, das Runterkommen und sich entspannen. Das fühlt sich richtig an und ich stehe voll dahinter, den ich glaube, ihm nichts neues mehr zuzumuten, ist in unserem Fall kontraproduktiv. Sowohl für mich als auch für unseren Sohn.
Thema Gesprächsunterbrechungen: er unterbricht uns weiterhin ständig. Ich hab es mal genauer beobachtet und mir ist aufgefallen, dass er es auf verschiedene Weise mit verschiedenen Zielen macht. Variante A: er spricht dazwischen, weil er sich inhaltlich am Gespräch beteiligen will und nicht abwarten kann, bis er an der Reihe ist. Variante B: er spricht dazwischen weil er irgendein Bedürfnis von uns erfüllt haben möchte, und zwar ohne weitere Zeitverzögerung. Variante C: er spricht nicht dazwischen, sondern bricht vorsätzlich Regeln (z.B. schwere Äste in die Luft werfen), um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Thema Fortschritte: Heute hat er sich (zum ersten Mal) seinen Rechenschieber genommen und mit dessen und meiner Hilfe bis 50 gezählt. Er schreibt täglich seinen Namen. Er erkennt und benennt all die darin enthaltenen Buchstaben korrekt (einzig das N macht ihm noch Schwierigkeiten). Er reimt wieder was das Zeug hält. Er baut ein Lego-Auto nach dem anderen und erprobt ihre Fahrtauglichkeit. Damit beschäftigt er sich momentan mehrmals am Tag, immer bis zu einer Stunde lang. Er spielt Rollenspiele mit seinen Stofftieren oder schlüpft in unsere Rollen. So hat er heute beim Tisch eindecken dass Kinderbesteck zu mir und meinem Mann gelegt, während er sich selbst Erwachsenenbesteck eingedeckt hat (man muss dazu sagen, dass wir das Kinderbesteck schon lange nicht mehr benutzen da unser Sohn ganz prima mit dem Erwachsenenbesteck umgehen kann). Dann verkündete er, dass er jetzt Erwachsen sei und wir die Kinder wären.

Sein Vokabular wächst so rasant, dass wir es schon gar nicht immer mehr bewusst mitbekommen. Vor einigen Tagen fiel mir auf, dass er das Wort „Kompromiss“ wie selbstverständlich benutzt. Und als ich mit ihm am Maltisch saß, fragte er mich, ob ich den Stift noch benötigen würde. Ich verneinte und blieb wie gebannt an dem Wort „benötigen“ kleben. Auch werden seine Sätze immer verschachtelter, er spielt mit Haupt- und Nebensätzen, er singt Lieder, die er lange nicht mehr gehört hat. Wenn ich mal wieder ein Wort nicht finde, vervollständigt er meinen Satz. Und all das tut er von sich aus, ohne dass esjemand von ihm fordern würde. Ich finde das alles einfach wow.
Thema Sozialverhalten: beim Eltern-Kind-Turnen konnte ich wieder live sehen, wie sehr sich mein Sohn, der wirklich sehr höflich sein kann (insbesondere mit Erwachsenen), daneben benehmen kann. Da wird sich immer wieder vorgedrängelt. Zurechtweisungen versucht er sich zu entziehen, indem er weg läuft (das wurde übrigens schon vom Kiga moniert, das hat er da nämlich in aller Regelmäßigkeit gemacht). Und es fällt inzwischen auch anderen Eltern beim Turnen auf, dass mein Sohn anders ist als die anderen Kinder. So beobachtet er mit Hingabe die Bewegungen der Sprungfeder des Trampolins, wenn andere Kinder darauf springen. Während seine Beobachtungen beim den runden Trampolinen zu keinerlei Einschränkungen auf Seiten des hüpfenden Kindes führen, stellt sich das bei den viereckigen Trampolinen, von denen dann auf eine große Matte gesprungen wird, anders dar. Hier liegt er plötzlich im Weg, die Kinder können nicht runterspringen. Die Kinder rufen protestierend auf und ab hüpfend nach ihren Eltern, die das Verhalten meines Sohnes kurz mit missbilligendem oder verständnislosen Blick (den werde ich NIE vergessen!) beobachten und dann mich – mit hochgezogenen Augenbrauen - auf den Plan rufen. Ich habe versucht, meinem Sohn so gut wie möglich rückzumelden, dass ich es toll finde, wie sehr er sich für die Funktionsweise des Trampolins interessiert und dass er sich das ganze gern von der Seite anschauen kann (wo man aber zugegebenerweise weniger sieht), sodass die anderen Kinder ungestört springen können. Doch mein Sohn rannte wieder einmal davon und das Interesse an der Sprungfeder war für den Rest der Stunde erloschen. Sowas macht mich sehr traurig. Und vermittelt mir eine Idee davon, wie schwer es sein muss, seinen eigenen Forscherdrang mit den gesellschaftlichen Regeln des täglichen Miteinanders in Einklang zu bringen. Da fällt mir das Wort „Passung“ ein, ein Wort, dass mir in meiner aktuellen Lektüre immer wieder begegnet. Alles eine Frage der Passung? Hmm… Fakt ist, dass er sich bei älteren Kindern und bei Erwachsenen anders verhält , als bei gleichaltrigen und bei jüngeren.
Apropos Literatur: vielen Dank für den Hinweis mit dem dänischen Familientherapeuten Jesper Juul. Welches Buch meint ihr da konkret? Er hat ja ziemlich viele veröffentlicht. Anfang 2020 soll ein weiteres rauskommen, dessen Titel m.E. erst einmal sehr interessant klingt: "Dein selbstbestimmtes Kind".
Fazit: Insgesamt hat sich die Beziehung zwischen meinem Sohn und mir wieder etwas entspannt. Wir haben zwar immer noch unsere Momente, aber insgesamt sind wir beide ausgeglichener. Das kann man von der Beziehung zwischen Vater und Sohn leider (noch) nicht sagen. Aber auch da bin ich guter Hoffnung. Mal sehen, wie es weiter geht…
Ich würde gern noch mehr schreiben und vor allem noch mehr Bezug zu euren Nachrichten nehmen, doch meine Konzentration ist erschöpft. Daher ein anderes Mal.
Herzliche Grüße an alle!